Vor kurzem fühlte ich mich grandios. Nicht, dass das etwas besonderes wäre, nein, ich fühle mich meistens ziemlich grandios, grandios ungeschickt, zum Beispiel, oder grandios verpeilt, gerne auch grandios müde, aber wie auch immer, ich fühlte mich also grandios, und zwar in diesem Falle grandios vorurteilsfrei.
Es ging um Tattoos und Piercings und Tunnel und so weiter und so fort, und der Tenor des Gesprächs war gerade irgendwo bei „aber irgendwo ist dann auch echt Schluss mit gesellschaftlich akzeptabel“, „also als Versicherungsvertreter kannst du das echt nicht bringen mit sichtbaren Tattoos“ und „ich würde die Bank wechseln, wenn mein Vermögensberater tätowiert und gepierct daher käme“ angelangt, als ich ein lockeres „so? Ich nicht.“ in die Runde schmiss – und mir ab da grandios vorkam.
Es ist so, ich glaube nicht, dass ich je eine Bank, eine Versicherungsgesellschaft oder einen Zahnarzt danach aussuchen werde, ob die Mitarbeitenden nun sichtbare Piercings und Tätowierungen tragen oder nicht. Wozu auch? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Versicherungsvertreter besser arbeitet, nur weil er keine Tattoos trägt. Ich glaube nicht, dass ein Nasenpiercing irgend einen Einfluss auf die Kompetenz einer Zahnärztin hat, ich glaube genau so wenig, dass eine Bankangestellte ihren Job nicht seriös ausführen kann, weil sie einen Lippenstift trägt, der mir nicht gefällt, oder dass ein Buchhalter ungeeignet ist für seinen Job, weil er scheussliche Krawatten – oder eine Augenklappe / Rastas / ein Kopftuch / eine Taucherbrille / einen engen Paillettenfummel bei der Arbeit trägt. Was hat das eine (die äussere Erscheinung) mit dem anderen (Kompetenz) zu tun?
Ich fühlte mich also wie erwähnt immer noch ziemlich grandios, moralisch überlegen wie schon lange nicht mehr, als ich heute nichts Böses ahnend durch die Tür eines Coiffeurgeschäftes trat. Weiterlesen…