Heute vor 9 Jahren hatte ich das erste Blind Date meines Lebens – mit dem selben Mann, mit dem ich heute Abend bei Kerzenlicht diniert habe.
Weil das alles so herrlich kitschig ist, poste ich an dieser Stelle eine nicht weniger schmalzige Geschichte aus unserem Spanien-Portugal-Trip anno 2006.
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España, September 2006
Es war an einem gottvergessenen Bahnhof in Spanien. Wir waren in den falschen Zug gehechtet in Barcelona, und dann auch noch am falschen Ort ausgestiegen. Nur, um Reservationsgebühren zu sparen, wir hätten auch einfach einen Intercity direkt nach Valencia nehmen können. Aber das Budget war knapp und ich nicht bereit, Annehmlichkeit etwas kosten zu lassen. 6 Stunden, hatte uns der Beamte am Schalter hämisch mittgeteilt, müssten wir nun in der brütenden Sonne auf den nächsten Zug warten. Um dann doch noch saftige Reservationsgebühren zu zahlen. Der kleine, untersetzte Mann rieb sich die Hände. Und spottete ganz unverblümt über bescheuerte junge Rucksacktouristen.
Natürlich war mein Freund etwas verärgert. Natürlich schimpfte er auf schweizerdeutsch über den Tubu hinter dem Tresen, der uns offen auslachte. Ich versuchte, ihn davon zu überzeugen, dass wir bestimmt ganz nah am Meer waren. „Komm, wir suchen den Strand! Wir haben 6 Stunden Zeit!“ Wir packten unser gesamtes Gepäck auf den Rücken (der spanische Scherzkeks am Schalter war natürlich nicht bereit, auf unser Gepäck aufzupassen) und zogen los. Ich ging mit flottem Schritt voran. „Aber nicht, dass wir diesen Zug dann auch wieder verpassen…“, das Grummeln meines Freundes erreichte mich trotzdem.
In den nächsten zwei Stunden änderte sich an der Gesamtsituation nicht viel. Ich marschierte – angesichts des Gewichtes meiner beiden Rucksäcke – in beachtlichem Tempo voran, mein Freund weit weniger enthusiastisch und leise grummelnd hinterher. Es war heiss. Schatten gab es kaum, Bäume waren Mangelware. Die Strasse war breit, staubig und das Tempo der Autofahrer mutig. Fussgängerstreifen? Ich kicherte bei diesem absurden Gedanken leise in mich hinein. Nein, ich spielte meinem Freund nichts vor: Ich war überaus gut gelaunt. Dass wir erst spät in der Nacht an einem Wochenende und ohne Reservation in Valencia eintreffen würden, kümmerte mich herzlich wenig. Dass wir hier in einer gesichtslosen Ortschaft ohne Bäume und ohne Grün auf einer Autostrasse umherirrten, war mir auch ziemlich egal. Dass das Meer ganz offensichtlich überhaupt nicht in der Nähe lag, war für mich auch kein Argument. Ich war hier, in Spanien, mit dem Rucksack und dem Freund. Mein erster, mein einziger Freund. Ein bleicher, schüchterner Junge, der mich auf einem Eisfeld das erste Mal ungeschickt küssen wollte. Ich war damals empört. Es war unser zweites Date. Ich kannte ihn gerade mal drei Tage. „Ich kenn dich doch gar nicht!“ Zwei Wochen später hatten wir Sex.
Mein Freund. Ich kicherte weiter vor mich hin. Nie hätte ich gedacht, dass ich ihn tatsächlich zu einem dermassen aberwitzigen Trip überreden konnte. Drei Wochen Spanien und Portugal, alles mit dem gesamten Gepäck am Rücken, eine wilde Route im Kopf und ein Interrailticket im Portemonnaie. Ein Abenteuer. Mein Freund wirkte auf mich nicht gerade abenteuerlich. Aber er kam mit. Tatsächlich.
Irgendwann wurde mir der Gewaltmarsch trotzdem zu anstrengend. Die Landschaft hatte sich nicht einen Millimeter verändert. Immer noch waren wir irgendwo in einer menschenleeren Ortschaft mit gewaltig breiten Strassen, halsbrecherischen Autofahrern, um uns weder Restaurants, Geschäfte noch sonst was, was einem Backpackerpärchen etwas Zerstreuung geboten hätte. Schliesslich fand ich dennoch eine Bäckerei. Wir waren wohl die ersten Touristen überhaupt, die sich je dahin verirrt hatten. Die Verkäuferin musterte uns fassungslos. Natürlich sprach sie kein Wort englisch. Wie wir kein Wort spanisch sprachen. Mit Händen, Füssen und mit den Euros Winken brachten wir sie schliesslich dazu, uns zwei Brötchen zu verkaufen. Noch lange spürten wir ihr verblüfftes Starren im Rücken. Auf ein paar Quadratmeter Rasen (die einzige Grünfläche des gesamten Marschs) picknickten wir schliesslich unser hart verdientes Zmittag. Dann, grummelte mein Freund, sollten wir uns jetzt endlich wieder auf den Rückweg zum Bahnhof machen. Der Marsch war lang. Heiss. Anstrengend. Bot unzählige Varianten für einen handfesten Konflikt. Schliesslich erreichten wir Zunge bei Fuss den Bahnhof wieder. Der spanische Beamte hatte sein Schläfchen beendet und lachte bei unserem Anblick ein paar Minuten schallend. Wir ignorierten ihn, so gut wir konnten, und setzten uns auf den heissen Teer. Die Hügelzüge in der Ferne flirrten in der Hitze. Die Geleise tanzten wie Fata Morganas auf und ab. Weit, weit weg entdeckten wir riesige Windmühlen. Majestätisch drehten sich die Blätter langsam. Wind? Keine Spur. Ich habe keine Ahnung, warum die Mühlen bei dieser sengenden Hitze funktionierten. Kein Hauch weit und breit. Mein Freund stöpselte sich die Ohren zu. Er hatte einen dieser neuen MP3-Player auf die Reise mitgenommen. Wie aller neuen Technik stand ich dem Phänomen kritisch gegenüber. Wer braucht schon portable Musik, wenn er sich mit jemandem unterhalten kann? Ich hatte nie auch nur einen Walkman besessen.
Mein Freund schloss die Augen. „Die sind echt gut. Du musst mal rein hören!“ Er stöpselte sich den Knopf wieder aus dem linken Ohr und hielt ihn mir hin. „Nein, ich krieg das Zeug nicht richtig in mein Ohr. Oder aber nicht mehr raus. Das ist nicht mein Ding…“ Er hielt mir den Stöpsel wortlos hin. Also gut. Ich robbte näher an ihn heran und ergriff das scheppernde Ding. Steckte es mit viel Theatralik in mein Ohr. Dann wurde ich still. „Beautiful, beautiful, beautiful…“ schallte es in mein Gehör. Ich hatte nie zuvor etwas annähernd Vergleichbares gehört. Niemals. „Das ist Coldplay“, klärte mich mein Freund ungefragt auf. Ich sprach länger nicht. So lange, wie wohl den ganzen Tag nicht. „Das ist… wunderschön.“, stammelte ich schliesslich. Dann war ich wieder still und lauschte den atmosphärischen Klängen. „We live in beautiful world….“ Es war Magie. Ich schloss die Augen. Träumte mich fort, zu den fernen Hügeln. Zu den mächtigen Windmühlen. Zu der flirrenden Hitze am Himmel. Die Sonne schien mir ins Gesicht. Ich war high. Nie zuvor hatte ich Ähnliches gefühlt ohne bewusstseinserweiternde Substanzen. „Hope that everything’s not lost…“
Die nächsten Stunden verbrachte ich in einer Art Traumzustand. Sass dort, an den Geleisen auf dem heissen Bahnsteig. Irgendwann hatte mir mein Freund grossmütig auch noch den zweiten Stöpsel gegeben. Ich werde das Gefühl nie vergessen. Es war wie schweben, träumen, auf einem Regenbogen reiten zugleich.
Natürlich kam irgendwann der Zug. Stiegen wir irgendwann ein. Fuhren durch die Nacht nach Valencia. Fanden dort in der 11. Herberge Platz, an deren Tür wir klopften. Waren wir halb verhungert. Fanden wir gegen Mitternacht eine spottbillige Kneipe. Assen wir die besten Calamares unseres Lebens. Tranken Wein und liebten uns wie nie.
Dennoch, die Zeit auf diesem Bahnsteig, irgendwo am Arsch der Welt, mit den flirrenden Geleisen und den majestätischen Windmühlen, mit Musik im Ohr, die mein Herz berührte wie vorher und nachher nie wieder eine neue Band es tat, das war meine eigentliche Spanienreise.
2 Kommentare
jpr
29. September 2013 bei 21:42<3 (und zwar alles)
Änni
29. September 2013 bei 22:07Danke! 🙂