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Gute Vorsätze, Selbstdisziplin und Würgereflexe.

Irgendwann in meiner nicht ganz unproblematisch ablaufenden Adoleszenz entschied ich mich, mich vom Konstrukt „gute Vorsätze“ auf Nimmerwiedersehen zu trennen. Gute Vorsätze, das sind – oder waren damals zumindest – für jemanden wie mich giftige kleine Pfeile, die mich daran erinnern, dass ich nie erreichen werde, was ich mir erhoffe oder was allgemein als „erwachsen“ und „reif“ zu gelten scheint, von „normal“ ganz zu schweigen. Bereits im Gymi, ich erinnere mich lebhaft, rieten besorgte und wohlmeinende Schulfreunde, ich solle doch mal dringend an meiner Selbstdisziplin arbeiten, „sonst wirst du noch Probleme bekommen“. Wie wahr, wie wahr. Leider war und blieb das Thema „Selbstdisziplin“ ein unerreichbares Mysterium für mich, was dann irgendwann, wie erwähnt, dazu führte, dass ich mich in voller Absicht gegen dieses Prinzip entschied. Es macht keinen Sinn, beschloss in in meinen frühen Zwanzigern, irgend einem Ideal hinerher zu rennen, das ich nie erreichen werde und das mich bei jedem Versuch, es endlich einzuholen, aufs Neue jämmerlich scheitern lässt. Ich habe keine Selbstdisziplin, alleine das Wort „Disziplin“ löst bei mir mittlerweile eine Art allergische Reaktion aus. „Gute Vorsätze“ also war etwas, das ich künftig grosszügig anderen überliess. Sollten die sich doch selber alles mögliche vornehmen, dem sie dann verbissen nachrennen konnten, wenn ihnen diese Form von Selbstkasteiung eine derartige Befriedigung verlieh – oder so.

Trotz allem fasste ich mit 21 ein grosses Ziel, als ich meine Ausbildung als Sozialpädagogin begann. Ich wollte diese Ausbildung unbedingt abschliessen, eine abgebrochene reichte vollauf. Man kann nun die Dinge so sehen, dass ich in Folge dieses Ziels (= „guter Vorsatz“) ein gewisses Minimum an Selbstdisziplin entwickelte. Ich selber sehe das nicht so. Ich schwänzte die FH, wenn ich keinen Bock hatte, ich schrieb – eigentlich umfangreiche – „Leistungsnachweise“ innerhalb einer Stunde mit mehreren Bieren intus, ich liess die Vorlesungen und Seminare meistens schlafend über mich ergehen, so dass mich einer der Dozenten einmal fragte, ob ich eigentlich an Narkolepsie leide. Ich habe in den ganzen 4 Jahren der Ausbildung nie ein einziges Blatt in einen Ordner abgelegt, ich schwöre. Da ich keine Schultasche besass, schwammen die losen Blätter in einer zunehmend vergammelnden Coop-Einkaufstasche herum. Ich würde höchstens sagen, ich nahm das Ziel, diese Ausbildung innerhalb der vorgesehenen Zeit abzuschliessen, so ernst, dass ich alles irgendwie mehr oder weniger innerhalb der Regeln erledigte. Ich hatte am Schluss alle Module abgeschlossen, ich hatte eine Diplomarbeit geschrieben, ich hatte alles bestanden. Meinen 60%-Job in einem Schulheim dagegen, den ich neben der FH hatte, den nahm ich sehr ernst. Ich wollte eine gute Sozialpädagogin werden, ich wollte dazulernen, ich wollte kompetenter werden. Das allerdings hatte nichts mit Vorsätzen oder Disziplin zu tun. Das lag daran, dass mich dieser Job wirklich interessierte, oder, wie der Sozi so schön sagt, an meiner intrinsischen Motivation.

Ich interessiere mich nun Mal für Menschen. Ich will wissen, wie sie funktionieren, was ihre Motive, ihre Abgründe, ihre Leidenschaften sind. Noch heute ist es für mich das höchste der beruflichen Gefühle, wenn ich in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen das Gefühl habe, jemanden endlich „decodiert“ zu haben. Das mag jetzt relativ creepy klingen, ich meine damit einfach, dass ich, wie der Sozi etwas gesellschaftskonformer sagt, „einen Draht“ gefunden habe zu einem Menschen. Wenn ich jemanden wirklich verstehe, beginne ich zu erahnen, was von meiner Seite her hilfreich sein könnte, was dieser Mensch brauchen könnte – oder eben gerade nicht.

Wie dem auch sei. Mittlerweile bin ich 33. Nach wie vor löst das Wort „Selbstdisziplin“ bei mir einen psychosomatischen Würgereflex hervor. Aber ich habe wieder gute Vorsätze gefasst dieses Jahr, im Bewusstsein darum, dass ich sie vielleicht nicht erreichen kann, oder nicht vollständig erreichen kann, oder nicht alle erreichen kann. In meiner schubartig auftretenden Euphorie kann es nämlich schon mal sein, dass ich mir zu viele Dinge aufs Mal vornehme, oder die Ziele schlicht viel zu hoch festlege. Ich will meine Vorsätze daher auf zwei Bereiche beschränken. Was ich davon auch wirklich umsetzen kann, werde ich sehen, spätestens beim Blogartikel „Ännis Jahr 2016“. Ich will mich nicht unnötig unter Druck setzen, aber es gibt zwei Themen, die mich nachhaltig beschäftigen, zwei Bereiche, in denen ich mit mir und meinem Leben nicht (mehr) zufrieden bin. Et voilà:

  • Meine Ernährung. Ausschlag war, dass ich Ende 2015 wieder einmal bei Kleidergrösse 44 gelandet bin. Das ist für mich schlicht nicht mehr ok. Da ich aufgehört habe zu rauchen, nahm ich mein zunehmendes Gewicht erst einmal mit Humor. Es war ja logisch, dass ich mein Suchtverhalten auf irgend eine andere legale Droge übertragen würde, und das war in diesem Fall Schokolade. Und Torte. Und Meringues. Und Rahmschnitzel. Und sowieso. Aber im Rahmen des Jahreswechsels beschloss ich, so kann es echt nicht weitergehen. Ich begann also, mich über Ernährung zu informieren. Obwohl ich missionierende Gesundheitsdogmen aus tiefster Seele verabscheue, fast so tief wie das Wort „Selbstdisziplin“, wurde mir dabei bewusst, wie einseitig, unkontrolliert und ungesund ich mich ernähre. Ich ass kaum Gemüse, kaum Salat, dafür unzählige Produkte wie Milchschnitten, Caffe Lattes, hier ein Dessert, dort ein Stück Kuchen, ständig irgend ein gezuckertes Yoghurt, abends Fischstäbchen, Bratkartoffeln, Halbfertig- und Fertigprodukte. Eigentlich ging es mir vorerst also darum, ein paar Kilos abzuspecken. Mittlerweile sehe ich das ein bisschen anders. Ich möchte mich in erster Linie gesünder ernähren. Mehr frische Sachen, mehr Obst, mehr Salat, mehr Gemüse. Mir ist Essen wichtig, und ich möchte qualitativ gute Produkte kaufen. Ich möchte weiterhin Spass am Essen haben. Ich möchte meinen kulinarischen Horizont erweitern. Ich habe seit Silvester immer wieder Esswaren gekauft, die ich vorher noch nie gekauft hatte. Einen Granatapfel, Mandelmilch, eine Passionsfrucht, einen Wirz, Schalotten, Leinsamen, Gojibeeren, frischen Spinat. Es macht sogar Spass, ohne Scheiss. Ich habe mir angewöhnt, ein gesundes Frühstück zu essen, bevor ich Richtung Arbeit reise. Ein Müesli mit Banane, Mandelmilch, Natureyoghurt und Chiasamen, dazu eine Passionsfrucht (meine neue Lieblingsfrucht) und Ahornsirup. (Nein, ich habe früher nie was gegessen zu Hause, weil ich ja immer sauknapp aufstehe, ja, richtig, ich habe keine Selbstdisziplin). Weil mein Freund in einem Anfall einen „Nutribullet“-Mixer gekauft hat, mache ich jetzt regelmässig Smoothies. Die Fruchtschale ist meist übervoll mit Kiwis, Mangos, Avocados, Äpfel, Orangen, Bananen, Passionsfrüchten, und bisher sind kaum Früchte verfault. Wir essen jetzt öfters einfach Salat und Toast zum Znacht, wobei ich den Salat mit Avocados, frischen Champignons, Peperoni, Gurken, gehobeltem Parmesan und manchmal auch ein bisschen Lachs aufmotze.
    Ich habe nur diesen einen Körper. Ich sollte ihm ein bisschen mehr Respekt entgegen bringen und ihn mit weniger Scheiss wie die ganze Chemie, die in Fertigprodukten steckt, unnötig belasten. Ich sollte meinen Horizont erweitern und Neues ausprobieren, und ich sollte davon Abstand nehmen, ständig zu essen, aus Langeweile oder als Belohnung zu essen. Geniessen ist wichtig, und Süsses gehört für mich dazu, aber ein gewisses Mass einzuhalten kann nicht schaden.

 

  • Mein ökologisch sinnvolles oder eben nicht sinnvolles Verhalten. Grundsätzlich war mir Umweltschutz und ökologisch vertretbares Verhalten immer wichtig, schon als Kind. Ich bin auf einem Biohof aufgewachsen, ich bin seit ich schreiben kann Mitglied beim WWF. Sogar in Armutszeiten habe ich einigermassen darauf geachtet, was ich für Lebensmittel kaufe (nicht Poulet aus Ungarn, nicht frische Kräuter aus Südafrika), habe den Müll getrennt etc. Aber irgendwann in den letzten Jahren bin ich an einen Punkt gekommen, wo die Bequemlichkeit überhand nahm. Weiterhin trennte ich den Müll, aber das Kompostkübeli beispielsweise benutzte ich nicht mehr, weil es bereits nach kurzer Zeit zu stinken begann – und wir durch unsere Ernährungsweise ja sowieso kaum Rüstafälle produzierten. Ich habe aufgehört, ökologisch vertretbares Waschmittel für unsere Kleider zu kaufen, weil es mir zu wenig gut roch. Ich habe angefangen, Weichspüler zu verwenden, weil das die Frottewäsche so schön flauschig macht. Ich habe manchmal sogar gebleichtes und gefärbtes WC-Papier gekauft, nicht aus Überzeugung, aber weil es halt gerade Aktion war. Ich habe beim Abwaschmittel, bei Putzmitteln, bei Körperpflegeprodukten nicht mehr auf die Umweltverträglichkeit geachtet. Als bei uns in den letzten Jahren das Haushaltsbudget immer knapper wurde, habe ich auch bei den Lebensmitteln angefangen, grosse Abstriche zu machen. Was billiger war, habe ich gekauft, nicht in jedem Fall zwar, aber in vielen Fällen. Prix-Garantie-Speck fragwürdiger Herkunft, das billigste Öl, die billigste Milch. Ich möchte das nicht mehr. Es belastet mich, in vollem Bewusstsein ökologisch schwachsinnige Produkte zu kaufen. Bei allem, was in die Gewässer fliesst, Waschmittel, Putzmittel, Spülmaschinentabs, sollte in jedem Fall ein ökologisch vertretbareres Produkt bevorzugt werden. Bei den Lebensmitteln muss ich Kompromisse machen, wir können es uns nicht leisten, nur Bioprodukte zu essen. Aber Produkte aus Schweizer Produktion sollten in jedem Fall drinliegen, soweit es sich um Lebensmittel handelt, die auch bei uns produziert werden. Für das Kompostkübeli gibt es Lösungen, es gibt offenbar kompostierbare Säckchen, die wir dann jeden Tag in den grossen Bio-Container unserer Vermieterin bringen können. Seit ich bewusster Lebensmittel einkaufe und viel mehr frische Produkte kaufe, habe ich auch unseren Kühlschrankinhalt besser im Griff, es geschieht seltener, dass mir Lebensmittel ablaufen und ungeniessbar werden.
    Wir haben auch nur diese eine Welt. Ich will mir nicht vorwerfen, dass ich nicht zumindest versucht habe, ein bisschen auf sie Acht zu geben.

 

Das sind sie, meine beiden „guten Vorsätze“. Ich bin gespannt, was ich erreichen kann. Auch wenn nicht alles sofort geändert werden kann, sie sind in meinem Hinterkopf und begleiten mich durch den Alltag. Vielleicht führt schon alleine diese Tatsache zu ersten kleinen Schritten in die richtige Richtung. Und wenn mir jetzt noch irgendwer mit „Selbstdisziplin“ daherkommt, den beglücke ich mit dem vitaminreichen, öklogisch abbaubaren Ergebnis meines Würgereflexes.

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2 Kommentare

  • Antworten
    Nicole
    3. März 2016 bei 08:28

    Hey Änni

    schöner Blogartikel! Sich hin und wieder bewusst mit seinem (Konsum-)Verhalten auseinanderzusetzen, ist ein guter Hinweis, das konnte ich mal wieder gebrauchen. Danke für den Anstupser, du siehst, du hat schon etwas erreicht :-).

    Liebe Grüsse und bis bald mal wieder auf Twitter

    Nicole (@KratzeZH)

    • Antworten
      Änni
      3. März 2016 bei 18:12

      Danke für die Blumen, und ja, manchmal muss man sich und sein Verhalten hinterfragen, mir zumindest geht das so.

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