Es ist so weit: 30, hab ich beschlossen, ist das beste Alter, um doch noch die Autoprüfung zu machen. (Warum erst jetzt? Zusammengefasst: Geld lieber in Liftings, spirituelle Séancen und Casinos investiert. Punkt.) Dass dieses Projekt auch soziologische Feldforschung mit sich bringt, war mir bei der Entscheidung nicht bewusst, hat ab dem Zeitpunkt dieser Erkenntnis meine Motivation jedoch nachhaltig positiv beeinflusst. (Ich LIEBE soziologische Feldstudien. Je abgefahrener, desto besser!) Doch ich will nicht zu sehr vorgreifen, hier kommt sie, die Feldstudie Nothilfe-Kurs, Part I.
Mit einem mulmigen Gefühl begebe ich mich ins klaustrophobische Kurszimmer. Meine Befürchtung, nach einem langen Tag mit verhaltensauffälligen Kids und Teens einen bunten Abend mit 17- und 18jährigen Lümmeln vor mir zu haben, wird beim Blick in die kleine Runde, die da apathisch auf den Plastikstühlen hängt, relativiert. Als die Teilnehmerliste samt Jahrgängen kursiert, stelle ich überrascht fest: Nein, ich bin nicht die älteste, und ja, es sind nur zwei Teenager anwesend. Dass auch ältere Semester für einen bunten Abend sorgen können, wird mir bewusst, als sich der Ende-Zwanziger Andy, Familienvater, das erste Mal zu Wort meldet.
Andy
„Warum ich hier bin, Scheisse?! Ey diese SCHEISS-BULLEN haben mir den Führerschein entzogen! Muss ich mit der ganzen verdammten Scheisse noch mal von vorne anfangen! So ne Scheisse, Mann!!“
„Ey Mann, wenn mir ein Arschloch in den Wagen knallt, dann bringe ich den um. Ey Mann, in MEINEN WAGEN!!“
„Wasn Warndreieck, Mann, was soll der Scheiss, da nimmst du die verfickten CD’s aus deinem Scheiss-CD-Wechsler und hängst diese Scheissdinger da hin! Ey, IMPROVISIEREN, Mann!!“
„Wenn mich diese Scheiss-Bullen kontrollieren? Ey, da haben die danach auch was bei sich zu kontrollieren, ich schwöre!! Ich mache KARATE, da fliegt der Wichser durch die Luft!!“
„Hanteln, verstehst du? Nicht so Scheiss kleine, ich meine, Hanteln, KRASSE HANTELN, ich mache so, so, rauf, runter, klar?!“
Auch die blonde Yolanda mit den grellpinken Gelnägeln ist in meinem Alter.
Yolanda
„Ja, also ich bin hier wegen der Autoprüfung. Die haben mir den Führerschein weggenommen. Ich verstehe das nicht.“
„Ich habe einen Uniabschluss in Diplomatie. Also, ich bin zur Universität gegangen, nicht. […] Was ist die Frage? Ah, Notzentrale alarmieren… Mache ich Handzeichen? Winken?“
„In den Bergen? Ich feuere Leuchtraketen ab! Bumm, Bumm! Weisst du, rot, grün, bumm bumm!“
„Was ich muss Opfer spielen? Ey, ich bin kein Opfer, ja?!“
Dagegen ist Jule, die Kursleiterin, erfrischend bodenständig.
Jule
„Hallo, meine Lieben… Ich bin die Jule, ne, ausm grossen Kanton, höhö, ne… Ich mach auch Massagen, ne, und psychologische Beratungen, ne, und kann heilen, also ich mach so Heilungen, ne… Aber euch heile ich heut nich, ne, höhö… Ich hab euch Gummibärchen mitgebracht, ne, damit euch der Abed versüsst wird, höhö, ne… Also Andy, ne, wenn du so knackst, mit deinen Fingern, ne, das gibt Arthrose, ne… Neneee, das is keine Scheisse, Andy, ne… Also Morgen, ne, Mädels, da ziehter was bedeckendes an, ne, da müsst ihr reanimieren, ne, und wie soll ich sagen, höhö, also, der Ausschnitt, ne, bedeckt den hübsch, höhö, ne, das ist sonst immer ein bisschen unschön, höhö, also für die Männer nich, höhö, aber ne, ihr wisst schon, was ich meine, ne?!… Also Andy, ne, wenn du den umbringst, ne, da kommste inne Knast, ne, wie soll isch sage, ne…“
(Ich bin schon gespannt wie ein Flitzebogen auf Part II, ne.)
4 Kommentare
Katharina
7. Juni 2013 bei 23:51Schön, diese Kurzbeschreibung lässt auf eine spannende Flora und Fauna schliessen. Ich freue mich auf die Fortsetzung.
<3-lich, Ihre Lic. Soc.
Änni
9. Juni 2013 bei 10:36Hihi, eine Soziologin? Ausgerechnet! Ich hoffe, Sie nehmen es mit der Wissenschaftlichkeit nicht zu genau! 🙂
@FrauZimt
8. Juni 2013 bei 10:15Mihihihihi! Sehr schön!
Der Kurs dauert hoffentlich noch ein bißchen? Mehr davon bitte! Es geht doch nichts über in verdeckt-teilnehmender Beobachtung erstellte Feldstudien!
Änni
9. Juni 2013 bei 10:39Der zweite Teil folgt, ich bin jedoch trotz aller Schadenfreude und niederem Vergnügen an Freak-Gehalt doch ganz froh, dass der zweite auch den letzten Part darstellt…