Lebenslage

Die Fähre

Es ist gegen 18 Uhr, als wir in Split eintreffen. 15 Stunden (ausgeschrieben: fünfzehn Stunden!!!) Fahrt liegen hinter uns, davon höchstens zwei Stunden Pause. Im Gewühl rund um den Hafen fragen wir uns beharrlich durch, bis wir schliesslich samt Tickets vor der Fähre nach Brač parken. Während wir uns vorsichtig aus den Sitzen falten, spricht uns eine junge Familie an, die ganz offensichtlich weder kroatisch noch englisch geschweige denn deutsch spricht und das selbe Ziel wie wir zu haben scheint: „Brač? Brač!“ Wir gestukulieren mit überlegener Miene, dass sie genau richtig sind, und nehmen ihren überschwänglichen Dank gnädig nickend entgegen.
Während wir auf die Abfahrt warten, treffen weitere Passagiere ein, darunter auch Katjia und Sven. Katjia erinnert an eine slawische Lara Croft: Sie ist gross, schlank, mit üppigem Vorbau ausgestattet, dramatisch geschminkt, ihre glatten, schwarzen Haare hat sie zu einem strengen Zopf geflochten, ihre superdünnen Augenbrauen scheinen tätowiert, die Lippen sind verdächtig voll. Sven, mit dem sie theatralisch knutscht, wenn sie beide nicht gerade an kroatischem Bier nuckeln, bildet einen passablen optischen Kontrast: Klein, dicklich, strohblond, mit einem schütteren, filzig wirkenden Pferdeschwanz, die voluminösen Waden, welche aus schweren Stiefeln quellen und in schlabbrigen schwarzen Shorts enden, so käsig weiss, dass es den Anschein macht, dass sie heute das erste Mal überhaupt die Sonne sehen. Sven wirkt wie eine Mischung aus Heavy Metal, IT-Zombie und Proll. Zu dem nicht nur optisch, sondern auch akustisch auffälligen Pärchen gehören zwei ebenfalls sehr stämmige, strohblonde ältere Damen, in schreiend bunten Blumenmuster gekleidet, auch sie mit Bierflaschen in den wild gestikulierenden Händen. Es erscheint plausibel, dass sie Svens Familie angehören, nicht Katjias. Insgesamt wirkt die relativ laute, bierselige Truppe jedoch merklich sympathischer als das Pärchen, das vor uns auf den Bänken des Schiffes Platz nimmt: Keira, die top gestylte Blondine im durchsichtigen Blüschen, mit perfekt manikierten Gelnägeln und einer Designer-Sonnenbrille auf dem betont gelangweilten Gesicht hat genauso wie Dave, ihr durchgestylter Boyfriend, die Ausstrahlung einer tiefgefrorenen Kettensäge. Je länger ich die beiden beobachte, desto grösser wird mein Mitgefühl: Die beiden verströmen eine Aura von derartiger Lustlosigkeit, Emotionslosigkeit und Leere, dass ich ihnen ernsthaft einen kräftigen Schlag auf den kunstvoll gegelten Hinterkopf wünsche. Als wir bereits auf der Fähre sind, kommt die bereits gut angetrunkene Katjia samt Digicam torkelnd auf mich zu: „Hiiii!“, strahlt sie selig, „could you taaaake a picture?… It’s veery easy, just put here, äh push, äh, no prooblem, hä?…“ Ich lichte die beiden, Arm in Arm und mit den Bierflaschen winkend vor dem Sonnenuntergang ab. Katjia ist begeistert: „Oooh, thaaank you! Soooo nice, hä…“ Yes. Das werden super nice Holidays, no question!!

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