Lebenslage

Der Aargau. Eine Stellungnahme.

Liebe Aargauerinnen, liebe Aargauer, liebe Nichtaargauer und Nichtaargauerinnen,

Es wird Zeit für eine offizielle Stellungnahme. Den nicht gerade dezenten Anspielungen in diversen Beiträgen und Seiten entsprechend ist die Unterstellung, dass ich eine bis anhin nie klar deklarierte Abneigung gegenüber dem weitläufigen Kanton Aargau und seiner Einwohnerschaft hege, nicht mehr von der kräftigen emmentalischen Hand zu weisen. Habe ich Vorurteile? Ja. Bin ich lokal-rassistisch? Zuweilen. Generalisiere ich? Kommt vor. Aber warum?! Dazu, liebe Leut‘, muss ich gewaltig ausholen. Fürwahr!

Meine Beziehung zum Kanton Aargau begann im zarten Alter von 21 Jahren. In dieser Sturm-und-Drang-Phase lernte ich nämlich meinen Freund kennen, einen Mann mit Nerven aus Stahl und abgrundtiefem Sarkasmus, zwei Eigenschaften, denen zu verdanken ist, dass er neun Jahre später immer noch mein Freund ist. Mein (ursprünglich solothurnischer) Freund lebte zu diesem Zeitpunkt, ihr ahnt es schon, im Aargau. Ausgerechnet! Ich hatte damit zu diesem Zeitpunkt überhaupt kein Problem. Aargau? Irgendein Kanton halt, nicht besser und nicht schlechter als Zürich, Solothurn, Luzern, etc., höchstens schlechter als Bern, aber das ist ja eh jeder der 25 anderen Kantone, gemäss der logischen Formel: „Es kann nur einen [Kanton] geben.“ – und dies trifft natürlich ausschliesslich auf meinen Geburtskanton zu, einem ländlich geprägten Gebiet mit saftigen, grünen Hügeln, sanften Tälern, einer farbigen, sympathischen Hauptstadt… oh, ich drifte ab, es geht ja um den Aargau, nicht um Bern. Also, der Aargau…

… der Aargau, so formte sich alsbald mein Eindruck, ist eine Ansammlung von Füdlibürgern und Tüpflischissern. Natürlich ist das nicht wahr, und natürlich bildete die Grundlage dieser Hypothese nur eine winzig kleine Anzahl an Aargauern, mit denen ich damals zu tun hatte, die da wären: Nachbarn und Hausverwaltung der Wohnung meines Freundes. Die Nachbarn beschwerten sich, mal ging es um Wäsche, mal um Lärm, mal um den Rasen, die Hausverwaltung schickte böse Briefe, in denen sie zu Ordnung und einer Rasenlänge von 6 bis 8cm aufrief. Nun ja, Spiesser und Bünzlis gibts überall auf der Welt, allerdings sah ich das damals nicht sehr differenziert. Etwas später wurde mein Freund, der ehrlichste und rechtschaffenste Mensch, den ich kenne, vom Kanton Aargau angeklagt wegen versuchter Steuerhinterziehung. Sein Arbeitgeber hatte, vermutlich um selber Steuern zu sparen, ohne ihn zu informieren einen grossen Anteil seines Gehalts als Spesen angegeben, was offenbar illegal ist- mein Freund jedoch füllte nichtsahnend seine Steuererklärung aus wie immer. Sein Arbeitgeber wurde nicht annähernd belangt, mein Freund hingegen als Schwerverbrecher dargestellt. Die Sache konnte irgendwie bereinigt werden, doch für mich war zu diesem Zeitpunkt klar, dass ich nie und nimmer im Kanton Aargau wohnen will.

Jahre später hege ich noch immer eine rational nicht erklärbare Abneigung gegenüber dem riesigen Kanton, in dem es keine einzige richtige Stadt, dafür ausschliesslich gesichtslose, teppichartig zusammengewachsene Agglomerationen zu geben scheint. Die Siedlungen wirken auf mich lieblos und zugepflastert, kein Vergleich zu den malerischen Dörfern meines Heimatkantons. Der Dialekt ist grauenhaft, und wären nicht die Löhne deutlich besser als in Bern und Solothurn, gäbe es für mich keinen Grund, mit dem Aargau irgendwas zu schaffen haben.

Liebe Aargauerinnen und Aargauer, ich weiss, das ist wenig fundiert, das ist tatsächlich generalisiert, das muss man auch nicht ernst nehmen. Ich kenne den Aargau nicht sehr gut, obwohl ich seit über drei Jahren dort arbeite, und es gibt ja vielleicht wirklich irgendwo hübsche Dörfer und entspannte Zeitgenossen – sie haben sich vermutlich einfach nur vor mir versteckt.

Gezeichnet:

Änni, ewige Heimweh-Bernerin und Kompromiss-Solothurnerin

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3 Kommentare

  • Antworten
    lavendelkinder
    25. April 2013 bei 16:36

    Liebe Änni,

    jetzt bin ich beruhigt. Ich habe direkt die nette alte Dame, um die ich mich mehrmals in der Woche kümmere, gefragt, ob sie aus Aargau kommt. Ich befürchtete schon, sie dann leider nicht mehr sehen zu können, wenn die Aargauer so ein verspießtes Volk sind. Aber nein, sie kommt aus Meiringen und ist dann nach Thun gezogen, bevor sie die Schweiz verließ und letzten Endes vor über dreißig Jahren hier im Kaff landete.

    Ich habe sie gefragt, ob sie Aargauer kennen würde und sie auch so spießig finden würde, wegen der Rasenlänge und so.
    Sie hat gelacht und meinte, der Schweizer wäre halt insgesamt ein bisschen penibel.
    Und als ich dann lachte, schob sie direkt hinterher, ich bräuchte nicht zu denken, dass der Rheinländer da so anders wäre.

    Aber das mit der Steuer, das ist schon ein arg dicker Hund!!!

    Liebe Grüetzelis,
    Britta

  • Antworten
    aenni
    26. April 2013 bei 22:00

    Hoi Britta,
    Hihi. Wie soll ich sagen: War ja irgendwie klar, sowohl Meiringen wie auch Thun liegt im wunderschönen Kanton Bern. Haha..
    Quatsch beiseite: Ich habe durch die Arbeit einige sehr nette Aargauerinnen und sogar einige sehr nette Aargauer kennengelernt. Dieses Ding mit dem Lokalpatriotismus wie auch dem Lokalrassismus ist vermutlich einfach urschweizerisch. Gerade, weil das Land so klein ist, muss man sich unbedingt von allen anderen Gebieten distanzieren. Das geht hierzulande so weit, dass winzige (!!!) Dörfer wie Oberbipp und Niederbipp, die quasi zusammengewachsen sind, eine erbitterte Fehde führen. Erinnert alles irgendwie an die Bürger von Schilda, wenn ich so darüber nachdenke…
    Gibt es dieses Phänomen bei euch nicht auch? Vorurteile einem anderen Bundesland, oder nur schon einer anderen Stadt gegenüber?
    Liebe kosmopolitische Grüsse
    Änni

  • Antworten
    lavendelkinder
    27. April 2013 bei 18:38

    Liebe Änni,

    also, hier im Kaff ist es so, dass die im Nordosten wohnenden Leutchen denen aus dem Südwesten nicht über den Weg trauen. Die Ortsteile sind genau einen Kilometer voneinander entfernt und heißen Oberdorf und Unterdorf bei den Anwohnern. Das Oberdorf ist Topp, das Unterdorf ist Flopp, oder auch umgekehrt. Der echte Name ist natürlich für beide gleich, aber trotzdem gehören sie irgendwie zu zwei unterschiedlichen Planeten.
    Dann gibt es hier auch linksrheinisch und rechtsrheinisch. Rechtsrheinisch ist die Schäl Sick, heißt: Die falsche Seite. Dann kommen noch diverse Kreise dazu. Im Rheinisch-Bergischen Kreis bist Du gut aufgehoben, im Rhein-Sieg Kreis eher nur so mittel.
    Also, kurz gesagt, ja, hier auch. Natürlich. Vom der kleinen bis zur großen Örtlichkeit. Hauptsache ist, Du sprichst nicht mit sächsischem Akzent. Dann kannste eh einpacken.

    Liebe Grüße aus der weiten und unglaublich toleranten Welt des Rheinlandes,
    Britta

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