Verständnislose Reaktionen auf Twitter gegenüber meinen Äusserungen gegenüber der Band, die dem wissenschaftlich anerkannten Phänomen „ZZ-Top-Syndrom“, kurz ZZTS, den Namen verpasst hat, nämlich ZZ Top, haben dazu geführt, dass ich diese seltene, aber doch bedeutende Erscheinung, die meinen Tweets zugrunde lag, an dieser Stelle einmal gründlich erklären möchte; Insbesondere, da fundierte Fachliteratur leider nur in Kalaallisut vorliegt, was sich damit erklären lässt, dass grönländische Soziologen in diesem Fachgebiet nunmal die Nase vorn haben. Daher: Verzaget nicht, selbst wenn ihr kein Kalaallisut sprechen solltet (was, unter uns gesagt, etwas peinlich ist): Denn hier kommt sie, die neuste Folge von „Änni erklärt’s“, volksnahe Wissenschaft für du und du.
Das ZZ-Top-Syndrom
Um dieses Syndrom und seine Auswirkungen wirklich verstehen zu können, bedarf es einer historischen Rückblende, ins Jahr, sagen wir, 1996. Stellt euch ein blasses Mädchen mit ungepflegter Haarpracht und zweifelhaftem Modegeschmack vor, das, infolge mangelnder sozialer Kompetenzen, seine Zeit am liebsten im Wald oder in einer Bibliothek verbringt. Nun begab es sich in dieser Zeit, dass die Lieblings-Bibliothek der namenlosen Anti-Heldin, ihr Sortiment bedeutend erweiterte, und zwar um nichts weniger als um Videokassetten und CD’s. (Ja, Video-KASSETTEN, liebe Kinder.) CD’s, in alphabetischer Reihenfolge vorliegend, die man umsonst ausleihen konnte: Eine sagenhafte Versuchung für die Pubertistin. Ohne auch nur mehr als fünf der Bands zu kennen, die da relativ konzeptlos zusammengewürfelt zur Auswahl standen, begann das Mädel, sich alphabetisch durch die Auswahl zu hören. Eine CD mit einem nackten, nach einem Geldschein paddelnden Baby gefiel ihr besonders (also die Musik, das nackte Baby fand sie fast so verstörend wie das Cover einer anderen CD beim Buchstaben M, auf dem, wie ein Mitschüler ihr nachdrücklich versicherte, Blut und Sperma abgebildet seien), und sie lieh sich immer und immer wieder die CD’s einer Band mit dem merkwürdigen Namen Portishead aus, einen Namen, den sie in Ermangelung an Englisch-Kenntnissen nicht einmal aussprechen konnte. Obwohl sie sich daher mit dem Buchstaben P erheblich länger aufhielt als geplant, kam sie schliesslich doch irgendwann beim Z an – und das Verhängnis nahm seinen Lauf. „Gimme all your lovin'“, schrien da ein laut Cover stark behaarte Typen gut gelaunt ins Mikro, und dem kleinen Änni der betrübten Jugendlichen huschte ein Lachen über das picklige Gesicht. „Die sind ja drauf“, dachte sie, „abgefahren.“
So, und nun visualisiert bitte einen Zeitraffer, und wir kehren zurück in die Gegenwart. Die führenden Wissenschaftler sind sich mittlerweile einig, dass dem ZZTS im Grunde eine klassische Konditionierung zu Grunde liegt. Also der „Gib Laut, dann kriegst du einen Hundekuchen“-Effekt, wie er in Grönland auch genannt wird (ja, ich habe die Begrifflichkeiten für euch übersetzt, nichts zu danken!). Es kann also als gesichert betrachtet werden, dass sich der ZZTS in seiner ganzen Ausprägung am besten entwickelt, wenn ein Zusammenhang zu einem positiven Erlebnis besteht. Dass die Musik von ZZ Top gute Laune verursacht, zum Beispiel. Diesen gespeicherten, emotional besetzten Zusammenhang rufen vom ZZTS betroffenen Personen auch nach über 15 Jahren noch in der selben oder gar gesteigerten Intensität ab: Erschallt irgendwo „Gimme all your lovin'“, lacht Änni die betroffene Person Tränen. Nun mögen sich kritische Geister fragen: Wo ist denn da die Abgrenzung zu Differenzialdiagnosen wie „Lieblings-Band“, kurz LB, oder „Cooler-Sound“, kurz CS, oder zumindest „Kann-ich-immer-wieder-hören“, kurz KIIWH? Nun denn, liebe Wissensdurstige: Der Clou vom ZZTS ist der, dass sich Änni das Individuum in seiner Imagination erheblich über das Objekt, also beispielsweise die Musik von ZZ Top, erhebt. Änni Das Individuum hat demnach eine klar herablassende, wenn nicht gar spöttische Haltung diesem Objekt, diesem Sound gegenüber. Ännis Seine Einstellung kann mit „Dieser Sound ist absolut lachhaft/ bescheuert/ unfreiwillig komisch“ umrissen werden; die absolut positive emotionale Besetzung aber bleibt dennoch bestehen. Paradox? Nicht, wer die psychologische Komponente wirklich verstanden hat! Natürlich kann das ZZTS auf beliebige andere Themen weitab von musikalischen Präferenzen übertragen werden: So gelten das „Ich-gucke-hirntote-Serien-obwohl-mir-bewusst-ist-wie-bescheuert-sie-sind“, kurz IGHSOMBIWBSS, oder das „Ich-trage-Socken-mit-Prinzessinnen-Schleifchen-ohne-dass-ich-glaube-eine-Prinzessin-zu-sein“, kurz irgendwas, als Paradebeispiel dafür, wie sich das ZZTS klinisch auswirken kann. Wer immer noch auf dem Schlauch steht, dem hilft vielleicht folgendes Zitat von mir einer anonymen weisen Frau:
„Man muss nicht alles ernst nehmen, was man gut findet!“
6 Kommentare
Katharina B.
21. Januar 2014 bei 22:08Mein Sohn hört Status Quo. Das sind die mit dem einen Lied, das sie auf Dutzenden von CDs über ein paar Jahrzehnte hinweg spielen.
Änni
22. Januar 2014 bei 16:29Wie alt ist dein Sohn noch mal?! So um die 4, oder?… Wie auch immer, es gäbe unerträglichere Favoriten, oder? Ich habe ja seinerzeit ein schweres Trauma von den (in meinen Ohren) grenzdebilen Songs aus der Reihe Findus&Petterson sowie eine nach wie vor unverarbeitete Angsstörung in Bezug auf das Liedgut von Gölä davongetragen, als ich noch stationär auf einer Kinder- und Jugendgruppe gearbeitet habe… da klingt Staus Quo für mich durchaus akzeptabel!
Monika
22. Januar 2014 bei 10:16Merke: dieses Syndrom gibt es auch noch im reifen Alter von über 40! Es ist keineswegs auf junge Leute beschränkt;-) Mit dem Unterschied, dass die jungen Leute peinlichst berührt sind, wenn die Alten diese ‚Krankheit‘ auch noch für sich besetzen. Es empfiehlt sich daher, sozusagen als paradoxe Intervention, beim Auftauchen von noch pickligen Pubertanden (?) umzuschalten von ZZT bzw. Portishead auf z.B. Heino – ach nee, geht ja auch nicht, der ist ja jetzt auch ein Rocker, auf Udo Lindenberg – auch ein schlechtes Beispiel. Merkwürdig, diese neue Generation kann sich nicht einmal mehr durch die Musik abgrenzen; meine Eltern empfanden noch alles, was wir spielten, als Lärm!
Änni
22. Januar 2014 bei 16:38So jung, meine Liebe, bin ich durchaus nicht mehr – meine infantilen Züge scheinen die Menschen immer wieder zu falschen Einschätzungen zu verleiten. Mit dem Phänomen des harmlosen Sounds der „neuen“ Generation hast du meiner Meinung nach wirklich recht: Ich bin oft verstört, wenn die durchaus hart pubertierende Schülerschaft von ihren musikalischen Vorlieben erzählt: Hitparade, harmloser Plastik-Pop. vielleicht etwas Hiphop, vielleicht etwas R’n’B, etwas Elektronisches, aber wirklich nichts, NICHTS, das meine 31jährigen Ohren schockieren würde. Wie wollen die je wirklich gegen das System sein?! Wie wollen die je beweisen, dass sie sich einen Dreck um die gängigen Werte und Normen scheren?! Ich meine, HITPARADE!
jpr
22. Januar 2014 bei 21:47Spass soll es machen. Da kann mangelnde Ernsthaftigkeit sogar eher ziemlich zutraeglich sein. IGHSOMBIWBSS (super!) dokumentiert das heutzutage denke ich fast am Besten (jedenfalls ist meine Timeline regelmaessig voll davon).
Änni
25. Januar 2014 bei 13:09Ja, Spass ist wichtig, wenn nicht sogar lebenswichtig. An dieser Stelle eine tiefe Verbeugung vor den Machern von Kulturgütern wie „The Big Bang Theory“ oder den unverwüstlichen „Gilmore Girls“.