Ein grauer Tag, im eh schon wenig pittoresken Olten schüttet es, als hätte Petrus was im Auge. (Böse Zungen behaupten, er habe sich zuvor Olten mal genauer angesehen, aber das nur am Rande.) Was tun, um dem Tag eine hoffnungsvollere Wendung zu geben? Anstatt nach Hause zu fahren und endlich mal wieder ordentlich zu putzen und Wäsche zu waschen, greife ich kurzerhand zum Handy und rufe, wen sonst, Mama Änni an.
„Hallo, Mama, was machst du so? Mir ist langweilig…“ „Dann komm her! Und bring beigen Faden mit!!“
Gesagt, getan. Der aufmerksame Leser kombiniert: Genau, da liegt noch ein unfertiges Wickelkleid bei Ännis Mama rum. Dieses heute fertig zu nähen, ist das erklärte Ziel. Doch: Das wäre alles viel zu einfach gewesen.
„Himmelarsch und Zwirn…“ Die Flüche von Mama Änni schallen unschön durch die durchaus pittoresken Emmentaler Hügel. Grund der mütterlichen Entgleisungen: Vreni, ihr erinnert euch, die unvergleichliche emmentalische Nähkurs-Koryphäe, hat mir nach Abschluss des Jeanskleides noch im Husch-Husch-Verfahren erklärt, wie ich das Wickelkleid nähen soll. Leider war die gute Dame zu dem Zeitpunkt ziemlich im Stress, was dazu führte, dass sie mir kurzerhand erklärte, nein, also die beiden Brustteile doppelt nehmen, also, das solle ich mir sparen, das mache das Sommerkleid nur unnötig dick, also, das soll ich einfach ignorieren. Nun ja. Wie sich am Ende von vielen nicht jugendfreien Flüchen aus dem Munde meiner betagten Mutter herausstellte, hätten diese doppelten Brustteile dazu geführt, dass durch die Naht automatisch das Dekolletee, die Armlöcher und den Halsausschnitt versäubert gewesen wäre. Hätte gewesen sein sollen, würde gehabt haben werden.
Und nun? Mama Änni schnurpfelte mehrere Stunden am Kleid herum, fluchte dazwischen erneut unschön und versuchte, mit Stoffresten und aufgetrennten Overlock-Nähten zu retten, was noch zu retten war.
Und ich? Ich entfernte mich wohlweislich, denn wenn meine Mama wirklich gereizt ist, ist es für alle Beteiligten das Beste, einen gewissen Sicherheitsabstand einzuhalten. Im Versuch, meine kampflustige Mama zu besänftigen, griff ich zu einem naheliegenden Hausmittel: Sven Epineys Schokoladenkuchen. (Für Nicht-Schweizer: Sven ist quasi die Heidi Klum der Schweiz, sobald man nichts böses ahnend den Fernseher anschaltet, strahlt einen Svens LSD-Grinsen entgegen. Aber: Sein Schokokuchen, der ist ganz ok.)
Das Zuckerkoma, das sich erwartungsgemäss ab dem dritten Stück dieser Kalorien-Schleuder einstellte, beruhigte zwar wie erwartet in beträchtlichem Ausmass die Nerven meiner angesäuerten Mama, er führte aber auch zu diversen euphorischen Visionen, und das, ich will ehrlich zu euch sein, durchaus generationenübergreifend.
„Du Mama, ich hab da im Internet ein Foto gesehen, also da hat eine dieses Schnittmuster einfach als Wickelshirt abgekürzt, das muss ich dir zeigen, also, das sieht super aus!“ „Mmh, ja, doch, das sieht nicht schlecht aus, aber du hast ja gar keinen Stoff mehr?“ „Ja, also, ich hab mir gedacht, also, ich könnte ja morgen nochmals los, aber ja, da muss ich wieder nach Aarau oder Langenthal, also, das ist halt wieder weit…“ „Hmm, also, wir könnten ja zum Heini, du weisst schon, dort in Hinterpfupfigen, also, der hat ja die beste Auswahl schweizweit, und das zu guten Preisen, also, wir könnten ja jetzt gleich los?!“
Der Heini, ein Urgestein des emmentalischen Detailhandels, eine Art „Einkaufszentrum für Landeier“, hat auf der enormen Ladenfläche nicht nur Yoghurt aus der dorfeigenen Käserei, ungeniessbaren Gratiskaffee und hässliche Kleidung bis Grösse 56, nein, er führt auch enorme Mengen an Wolle und Stoff. „Wäre ja auch verheerend, wenn man in einer der dreissig Plastikboxen mit Stoff mal den Boden sehen würde“, grummelte der Papa, und schon waren meine Mama und ich beim Heini. Das wohl – in diesem Fall wohl wirklich schweizweit – hässlichsten „Einlaufszentrum“ ever, in dem die urchigen Konsumenten auf Schnäppchenjagd in den Melkerblusen und Augenkrebs-Röcken herumwühlen, enttäuschte auch heute nicht. In den lieb- und konzeptlos aufgetürmten Stoffbergen den Überblick zu behalten, ist ein Ding der Unmöglichleit, aber wer wühlt, der findet. „Oh, guck mal, Mama, dieser bestickte rosa Stoff, meine Güte, ist der schön…“ „Meine Güte, du hast recht!! Aber der ist nicht geeignet für dein Schnittmuster, das weisst du doch, oder?“ „Ja klar, aber guck mal, wie schön der ist…“ „Meine Güte, du hast recht!! Oh, und der würde WUNDERBAR zu meinem grauen Rock passen, so als leichte Jacke…“ „Meine Güte, du hast so recht!!“
Ähm ja. Ich kürze an dieser Stelle mal ab. Stunden später verlassen wir den Heini, den Einkaufswagen voll mit Stoff und Mercerie. Hier meine ergatterten Schätze:
Hach. Morgen geh ich wieder zu meiner Mama, und dann nähen wir, bis die Maschinen rauchen.
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