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Sozialisation

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Änni, die alternde Traktor-Emanze.

Wer mich nicht schon aus der Schulzeit kennt, der weiss vermutlich auch nicht, welche Hardcore-Feministin ich mal war. Politisch interessiert war ich schon als Kind, bei uns am Familientisch war Politik immer präsent, dabei ging es hoch zu und her, meine SP-affine Mutter und mein SVP-Vater sowie mein FDP-Bruder schenkten sich dabei nichts. Politik war nebst der anstehenden Ferkel-Kastration, der ewig vollen Jauchegrube und den Vorbereitungen für die nächste Viehschau quasi das Thema Nummer eins im Hause Ä. Bereits als Dreikäsehoch (und, seien wir ehrlich, als penetrante Klugscheisserin) wollte ich natürlich unbedingt mitreden und verfolgte so viele, viele Bundesratswahlen gebannt vor dem Bildschirm. Als Teenager und sehr junge Frau dann wollte ich unbedingt politisch die Welt verbessern – sie hatte es schliesslich nötig. Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit, aber eigentlich schon vor allem Feminismus waren dabei meine Themen erster Wahl, und in meiner schön schwarz-weissen Welt wusste ich genau, wie die Sachlage war. „Emanze“ wurde ich in meinem mehrheitlich konservativen Umfeld nicht nur einmal genannt, und irgendwann nannte ich mich dann einfach selbst so. Ich ging an Demos, ich trug Buttons, ich hängte Plakate auf, ich ging meinen Mitschüler*innen und auch den Lehrkräften im Gymnasium bisweilen endlos auf den Sack mit meinem schon fast biblisch anmutenden Kampf gegen das Patriarchat. Mit 18 dann marschierte ich strammen Schrittes zur Uni, rückwirkend gesehen mit keinem geringeren Ziel als der feministischen Weltherrschaft. Die dann, wie sich zeigen sollte, irgendwie doch nicht erringen liess. Bereits mit 20 scheiterte ich dermassen fundamental an mir und der Welt, dass ich mein Studium abbrechen musste.

Ich war nie ein „typisches Mädchen“. „Mädchenhafte“ Verhaltensweisen und Attitüden wie anhänglich sein, lächeln, schweigen, wenn Erwachsene sprechen, artig die Augen niederschlagen, sanft mit anderen Menschen umgehen, friedfertig sein, sich schüchtern zeigen, nett und niedlich sein und so weiter waren mir schon als Kind sehr fremd. Ich war für all das viel zu grob, ausserdem fehlte mir jeglicher Sinn dafür, mich irgendwie zu verstellen. Da ich in diese Kategorie nicht reinpasste, orientierte ich mich halt an der anderen. Männer sind stark, wurde mir vermittelt, also wollte ich auch stark sein. Nicht nur das, ich wollte hart sein, hart wie Stahl. Eine toughe Frau, die sich in einer männerdominjerten Welt durchschlagen kann. Keine Schwäche zeigen, bloss kein Schwäche zeigen. Ich wollte alles sein, bloss nicht „empfindlich“. Jahrelang hatte ich dicke Mauern um mich herum gebaut, damit mir niemand etwas anhaben konnte, damit ich nicht verletzt werden konnte, damit ich härter und härter werden konnte. Ich sah mich als weibliche Version von Indiana Jones, die sich mit muskulösen Oberarmen, alleine und mit roher Gewalt durch einen lebensfeindlichen Dschungel kämpft (warum zur Hölle gibt es eigentlich keinen solchen weiblich besetzten Film?!). Es konnte nicht lange gut gehen mit dieser Strategie. 

Lange glaubte ich, mit dem Feminismus ebenfalls abgeschlossen zu haben. Längst war mir aufgegangen, wie naiv ich die Welt mit 18 sah. Schon mit Mitte 20 sagte ich von mir, ich sei keine Feministin mehr. Ich sah mich in erster Linie als Mensch, der versucht, im Kleinen Dinge zu verändern und Gutes zu tun. So sehe ich mich immer noch, aber seit ein paar Jahren gibt es ein Thema, das mich zunehmend ärgert, und aufgrund dessen ich plötzlich wieder als „Emanze“ gelte (ich hab keine Probleme mit dem Begriff, der Vollständigkeit halber ergänze ich ihn gerne zu „alternde Traktor-Emanze“, denn, jawohl, ich kann nicht nur Kühe melken, sondern auch Traktor fahren). Es ist paradoxerweise ein Thema, das ich persönlich nicht Mal als feministisches sehe, sondern als menschliches, aber eben, die konservative Ecke hat ihre eigene Logik.

Es geht um Rollen, Geschlechterrollen. Je älter ich werde, desto mehr Mühe habe ich mit einer, sagen wir mal, „eingeschränkten“ Definition von Männlichkeit oder Weiblichkeit (ich rede hier, falls das nicht sowieso klar sein sollte, vom sozialen Konstrukt, nicht von der Biologie), abgesehen davon, dass es meiner Erfahrung nach schlicht auch einfach mehr gibt als diese beiden Kategorien. Es ärgert mich unglaublich, dass ein Grossteil der Menschen, mit denen ich zu tun habe, offenbar immer noch glaubt, dass die Menschen in 2 Schubladen zu stecken sind, nämlich entweder „männlich“, mit ganz bestimmten Attributen, oder aber „weiblich“, mit entgegengesetzten Attributen (denn, kleine feministische Randnotiz, so funktioniert die klassische Kategorisierung nun mal: Man geht vom Männlichen aus & das Entgegengesetzte bzw. Abweichende wird dann als „weiblich“ definiert). Schon nur die Idee!! dass „männlich“ bzw. „weiblich“ mit festgelegten Eigenschaften zu tun hat, macht mich ehrlich gesagt wahnsinnig. Wie eng kann eine Weltanschauung bitteschön sein, dass man sich anmasst, davon auszugehen, dass alle biologisch männlichen Wesen die selben Eigenschaften aufweisen (müssen)?! Die Vorteile eines solchen Modells mögen zwar auf der Hand liegen – man muss sich nur zwei Kategorien merken (bzw. nur eine & und dann halt das Gegenteil davon) – aber die Folgen davon sind gravierend und haben unter anderem mein eigenes Leben unschön geprägt: Wer immer in dieses Modell nicht reinpasst – und das müssen meiner Schätzung nach sehr, sehr viele Menschen sein – der oder die ist dann halt einfach „falsch“. Das fängt im frühen Kindesalter an: Wer sich als Kind mit Vagina nicht mädchenhaft™️ benimmt, ist „ein halber Junge, höhö“. Wer sich als Kind mit Penis nicht gerne prügelt, ist „irgendwie mehr ein Mädchen, höhö“. Unter dem Strich: „Falsch“. Mit fortschreitendem Alter werden die Bezeichnungen dann auch weniger nett: „Mädchenhafte“ Jungs (ich krieg die Krise, das nur schon zu schreiben) sind dann halt „Schwuchteln“, „jungenhafte“ Mädchen „Traktor-Lesben“ – und es gibt noch viele weitere schöne Bezeichnungen. Aber, zur Hölle: ES GIBT MEHR, KRASS MEHR MÖGLICHKEITEN. Es gibt so viele Möglichkeiten von „Weiblichkeit“ wie Frauen auf dieser Erde, es gibt so unendlich viele Varianten von „Männlichkeit“ wie es Menschen gibt, die sich als Mann sehen. Damit gleich zum nächsten Punkt: Nicht alle Menschen mit Vagina sehen sich als Frau, nicht alle Menschen mit Penis sehen sich als Mann, und es gibt mehr als diese zwei Möglichkeiten. Ich habe durch meinen Beruf sehr viele Menschen kennen gelernt, und manche waren einfach weder noch, Geschlecht ist kein binäres System. Aber auch diejenigen, die sich in “männlich“ oder „weiblich“ finden: Es gibt keine vorgegebenen „männlichen“ oder „weiblichen“ Eigenschaften! Wir dürfen alle alles sein! 

Ich zum Beispiel sehe mich als Frau, ich liebe kitschige Netflix-Serien, hasse Aussagen „zwischen den Zeilen“, tanze gerne, hasse Tratsch, zersäge gerne Bäume, bin stolz auf meine Oberarme, backe gerne, hasse Putzen, bin verletzlich, hasse Begrüssungsküsschen und Smalltalk, trage gerne Röcke, verabscheue gefühlsbetonte Interaktionen, und so weiter, und so fort. Ich darf alle Eigenschaften haben, die ich habe, und bin eine Frau, wenn ich eine Frau sein will. Ich bin auf meine ganz individuelle Art unfassbar (!) weiblich. Wäre ich jedoch ein Mann, würden mich exakt die selben Eigenschaften unfassbar (!) männlich machen, so einfach ist das. Und das gilt für uns alle. 

Lasst uns endlich damit aufhören, dieses Märchen von „männlichen“ und „weiblichen“ Eigenschaften und Verhaltensweisen aufrecht zu erhalten, denn es vergiftet unsere Kinder, es schädigt unsere Jugend, es führt dazu, dass unzählige Frauen, Männer und Menschen ausserhalb dieser Kategorien an sich verzweifeln und keinen Frieden mit sich schliessen können. Stereotype Rollenbilder sind nicht einfach eine harmlose Tradition, sie können Leben zerstören, also lasst uns endlich aufhören mit diesem verdammten Bullshit!

TRAGT DIESE BOTSCHAFT IN DIE WELT HINAUS. SCHMIERT SIE AUF WÄNDE, DRUCKT SIE AUF BUTTONS, BRÜLLT SIE DURCH MEGAPHONE, SCHREIBT SIE IN DEN SAND, PLAKATIERT DIE STÄDTE DAMIT, TÄTTOWIERT SIE EUCH ALS ARSCHGEWEIH, SOLANGE, BIS DER LETZTE MENSCH AUF ERDEN SIE ENDLICH VERSTANDEN HAT. 

(Danke.)