Was mir Freude macht: Küche, Garten, Schreiben, Reisen, Handarbeit, Sport.
Wieder waren mehrere Stunden zu fahren, wieder regnete es. Die Fahrt auf der E6 verlief ruhig, wie immer wenig Verkehr. Interessanter wurde es dann, als wir in die Gegend Snåsa, unserem nächsten Stop für paar Tage, kamen. Hier waren dann nämlich nicht mehr alle Strassen geteert. Im Vergleich zu Schottland waren aber selbst die Naturstrassen noch in gutem Zustand. Wir machten einen Zwischenhalt im nächsten Supermarkt und investierten weitere 100 CHF in einen Lebensmitteleinkauf. Dann schliesslich machten wir uns auf die Suche nach der Unterkunft. Die ist nämlich bitzeli, äh, abgelegen. Aber dank Google Maps bogen wir schliesslich auf das Grundstück direkt am See ein. Dort steht nebst dem Haus der Vermieter und einem Container für Camper auch ein kleines Holzhaus, selbstverständlich rot, das die nächsten Tage unser Zuhause sein würde. Offensichtlich hatte ich beim Buchen nicht so genau hingeschaut: Das Haus bietet Platz für bis zu 6 Personen. Es hat 3 (!) kleine Schlafzimmer. Was solls, entschied ich, wir waren ja nunmal hier. Bettwäsche und Handtücher muss man hier separat mieten, und eine Grundreinigung muss man auch selbst durchführen, wenn man das nicht will, muss man für die Reinigung weitere 500 Kronen abdrücken. Das Haus ist nicht super modern und ein krasser Kontrast zu unserer durchgestylten letzten Unterkunft – so gut wie alles ist aus Holz, die Wände, der Boden, die Decke – aber man hat fliessendes Warmwasser, eine Küche, eine Dusche, eine Terrasse mit spektakulärer Aussicht und ein sehr gemütliches Wohnzimmer mit einem Schwedenofen, was braucht man mehr?
Als ich dann kochen wollte, zeigte sich dann doch noch, was man zusätzlich brauchen könnte: Ein Rüstmesser!! Das war nun unsere vierte Unterkunft in Norwegen, somit unsere vierte norwegische Küche & bisher hatten wir nirgends einen Sparschäler ausfindig machen können. Hier hatte es z.B. 3 verschiedene Kartoffelstampfer, eine Fischzange und ein Käsemesser, aber KEIN RÜSTMESSER! Während ich mich also abmühte, die Karotten mit einem mässig scharfen Küchenmesser zu schälen, ging mir nach intensivem Grübeln irgendwann auf, was der Grund dafür sein musste, dass sich quer durch alle Standards in keiner norwegischen Küche ein vernünftiges Rüstmesser zu finden war:
Es musste mit der Verehrung des Gottes der Schifffahrt – „Njörd“ heisst er laut Google übrigens – zu tun haben!! Njörd nämlich, der cholerische Freak, verlangt von seinen Anhängern, dass sie ihm zuliebe allen Rüstmessern entsagen und ein unter dem Strich freudloses Dasein fristen. Ohne je die Freuden eines scharfen Sparschälers erfahren zu dürfen, geisseln sich Njörds Anhänger mit dem zermürbenden Vorgang des Schälens mit unscharfen Küchenmessern und büssen so für ihre Sünden (wie dem unabsichtlichen Schwarzfahren auf einer Fähre). Heilandsack! Vor lauter Ehrfurcht, gerade einen undokumentierten Zweig der nordischen Mythologie entdeckt zu haben, musste ich das Rüebli weglegen und mich kurz setzen. Auf Aussenstehende mag die Verehrung Njörds durch die Abwesenheit von brauchbaren Rüstmessern relativ beliebig und zusammenhanglos wirken, doch man sollte sich nicht anmassen, über die archaischen Rituale einer fremden Ethnie zu urteilen, sinnierte ich, während ich mir ein norwegisches Bier genehmigte. Das alles war so super deep, ich war kurz davor, einen Podcast oder zumindest einen Tiktok-Clip dazu aufzunehmen, trank dann aber doch lieber noch ein zweites Bier.
Viel mehr, als über Njörd und den fragwürdigen Auflagen gegenüber seiner Anhängerschaft zu grübeln, machten wir denn die nächsten Tage denn auch nicht. Irgendwann gingen wir kurz dem See entlang spazieren, ich kündigte grosskotzig an, dass ich am nächsten Tag im See schwimmen werde, ausserdem malte ich viel. Abends machten wir ein Feuerchen im Schwedenofen und sassen dann bis weit nach Mitternacht im gemütlich warmen Wohnzimmer herum.
An unserem letzten Tag am See schliesslich regnete es ab Mittag nicht mehr und die Wolken schienen dünner zu werden. Wir fragten unsere Vermieterin, ob wir ein Ruderboot ausleihen dürfen, was wir durften, montierten vorschriftsmäßig unsere Schwimmwesten und versuchten dann, das Boot irgendwie ins Wasser und uns irgendwie ins Boot zu bringen. Eine eben angereiste französische Familie verfolgte dieses Spektakel mit ungläubigem Staunen. Nachdem das Boot zum dritten Mal fast gekentert wäre und ich endgültig nicht mehr konnte vor Lachen, rief uns der Franzose zu „wir nehmen dann euer Auto und eure Sachen, ok? Ihr braucht das alles offensichtlich nicht mehr…“ Wenig elegant legten wir schliesslich ab, und das Rudern konnte beginnen. Holy Shit, ist das anstrengend! Mein Freund versuchte sich als Alleine-Ruderer, phasenweise ruderten wir zu zweit, aber so oder so: Hätte uns jemand zugeschaut, der das kann, hätte die Person wohl Tränen gelacht. Nichtsdestotrotz kamen wir irgendwann auf der anderen Seite der Landzunge an und legten dort an einem steinigen Strand an. Die Sonne kam langsam aber sicher durch, und die nächsten Stunden taten wir, was wir in solchen Situationen immer tun: Mein Freund formte sich mit dem Rucksack ein Kopfkissen und genehmigte sich ein Nickerchen, während ich barfuss die Umgebung erkundigte und auf den Felsen herumkletterte.
Irgendwann war es dann so warm, dass ich beschloss, meine Ankündigung vom Vortag umzusetzen & ein Bad im See zu nehmen. Dummerweise hatte ich meinen Bikini nicht dabei – wer hätte mittags auch erahnt, dass es so warm werden würde?? Nach kurzer Berechnung der Wahrscheinlichkeit, mit welcher hier andere Menschen aufkreuzen würden (unter 3%) entledigte ich mich schliesslich einfach meiner Kleidung und hüpfte in den See. Ein unfeines Kreischen entwich mir – heilige Scheisse war das Wasser kalt!! – und so hüpfte ich auch schon ziemlich schnell wieder raus. Die nächste Stunde lagen wir dann einfach an der Sonne und konnten unser Glück kaum fassen, an einem solch wunderschönen Ort gelandet zu sein, und zwar alleine! Irgendwann paddelte ein Fischerboot durch, ein paar Möwen kreischten und eine Entenmutter bugsierte ihre 8 (!) Sprösslinge durch die Bucht, ansonsten sahen wir keine Menschenseele.
Abends dann belohnte ich uns für die harte Ruderarbeit mit nicht ganz perfektem Kartoffelstock, Rüebli, Salat und einer Extraportion „Reker“, Krabben (geschälte, diesmal!). Wir waren durchaus ein wenig traurig, als wir am nächsten Tag wieder Richtung Zivilisation aufbrachen. Die Zeit am See war wunderbar erholsam, wir wären gerne länger geblieben.