Lebenslage

Änni plant ein Lager.

Ein Highlight jedes Sozi-Alltags ist klar das alljährliche Ferienlager mit einer variierenden Anzahl betreuter Kinder und Jugendlichen sowie einer Horde vollmotivierter SozialpädagogInnen. Bereits das Wort „Lager“ löst in meiner Berufsgattung allerlei vorfreudige Reaktionen wie Akne, Ganzkörperekzeme oder Nikotinsucht aus (zuweilen auch kumulativ, doch das nur am Rande).

Nachdem an den Kaffekränzchen Teamsitzungen mit vielen emotionalen Ausschweifungen geklärt wird, wer diesmal alles mitdarf (in Bezug auf die MitarbeiterInnen. An Kaffekränzchen Teamsitzungen wird gemäss internationaler Sozi-Norm grundsätzlich nur über die Mitarbeitenden und ihre Befindlichkeiten gesprochen), ist der nächste Punkt jeweils die Vergabe der Lagerverantwortung. Mit einem gewissen, kaum vernehmbaren Sarkasmus wird die Frage geäussert, wer denn dieses Jahr das Lager organisieren möchte.

Nun, wie ihr euch bestimmt vorstellen könnt, dies läuft in etwa ab wie in einer Erstklässler-Schulstunde die Frage, wer als nächstes von seinen Ferien erzählen darf. Wie von metaphysischer Macht erzwungen, fliegen alle gestreckten Arme (oftmals auch Beine) der anwesenden Sozis gen Wohngruppendecke: „Ich!! Ich!! ICH!!“ „Nein, ICH, ICH, ICH!!“ „NEIN, ICH, ICH, ICH!!!!“ Kurz darauf kommt es zu haarsträubenden Anschuldigungen und die gegenseitige Zerfleischung beginnt: „DU durftest schon das letzte Mal!! Ich weiss es genau!!“ „Gar nicht wahr, du projizierst wieder fürchterlich! Ich durfte NOCH NIE!!“ „Ha, genau das ist es! Ihr beiden Nulpen habt das NOCH NIE gemacht!! ICH habe jahrelange Erfahrung in der Ferienlagerkonzetion! Ich hab den MASTER OF LAGER!!“ „Lächerlich!! Die drei sind allesamt unfähig, das baden wir eh schon jeden Tag aus! NEHMT MICH!!“ „Jetzt hast du wieder mein inneres Kind zum Weinen gebracht! UUUÄÄÄÄÄÄH!!!“ Dazwischen versuchen die Gerisseren unter den Sozis, sich mit leiser gemurmelter Korruption einen Vorteil zu verschaffen: „…. Murmel, murmel… also, hör mal, Teamchefin…. also du erinnerst dich doch bestimmt noch an meinen letzten Schokokuchen?… Murmel, murmel… also, wir müssen das ja den anderen nicht erzählen, aber… Murmel, murmel… so ein Schokokuchen könnte dein Schokokuchen sein… ja, deiner, deiner ganz allein… Murmel, murmel…“

Während die meisten keifen, schreien, brüllen, sich gegenseitig kneifen und sich an den Haaren reissen oder aber lautstark flennen, andere dagegen Bestechungs-Schokokuchen planen, reisst eine Frau schliesslich die Macht an sich: Änni, Queen of Durchsetzungskraft, hüpft auf den runden Tisch, schwingt ihren rosa Zauberstab, versteinert alle Anwesenden mit ihrer wirren Frisur ihrer dunkelvioletten Aura und spricht mit bebender Stimme: „ICH, Änni, Queen of Soziland, reisse die Lagerverantwortung hiermit an mich! Wer mir widersprechen will, dessen Kuscheltier ich fortan mit Voodoo-Dolchen foltere, auf dass es ewige Qualen erdulde!! Meine Macht bleibe unangetastet, ansonsten ist fertig mit Feng-Shui!! Kraft meiner desolaten Frisur erkläre ich euch hiermit zu meinen Untertanen! Die Sitzung ist geschlossen!!“

Wie soll ich sagen, wie prophezeit wagte niemand, nicht mal die Schoko-Kuchen-Intrigantin, sich Ännis wüsten Drohungen auszusetzen. Einmal mehr zeigte sich, wie Einschüchterung und fiese Psycho-Spielchen stets von Erfolg gekrönt werden.
Als Ännis Siegeswahn langsam wieder normale megalomane Ausmasse annahm, wurde ihr gewahr, wie viel Macht und Einflussnahme sie sich mal wieder unter den nagel gerissen hatte. Den Lagerort bestimmen können! Mallorca, Kasachstan, Vietnam? Änni schmiedete händereibend Pläne.
Leider, leider intervenierte darauf die Geschäftsleitung mit diversen popeligen Einwänden – was weit tragischer war in dem Zusammenhang, war die Tatsache, dass diese Leitungsfuzzis gegenüber Ännis Einschüchterungsversuchen wie auch ihren nicht zu unterschätzenden magischen Fähigkeiten gänzlich immun schienen. Änni indes wäre nicht Änni, wenn sie den Bünzlis nicht metaphorisch den Stinkefinger gezeigt hätte, indem sie umso euphorischer mit der Planung eines Lagers innerhalb der helvetischen Grenzen begann.
Änni und Planung? Für die Leser, die Änni nicht oder nur flüchtig persönlich kennen, sei folgendes angemerkt:

1. Ihr Glücklichen!
2. Änni ist ein Synonym für reibungslose Organisation. War immer ein Synonym für reibungslose Organisation. Wird immer ein Synonym für reibungslose Organisation sein. (Wer ernsthaft zweifelt, sei auf einen typischen, durchorganisierten Tagesablauf von Änni verwiesen.)

Falsch gebuchte Flüge? 5 Mal täglich im falschen Zug? Ohne Geld unterwegs? Alles kein Problem. Änni ist nicht nur die Organisatorin schlechthin, sondern auch die Improvisationskünstlerin par Excellence. Wer weiss, wie sich Änni an einem immer wärmer werdenden Tag unterwegs rasiert den ästhetischen Konventionen beugt, der ahnt: Wenn Änni plant, bleibt kein Stein auf dem anderen.
Durften auch die unterjochten Mitarbeitenden feststellen. Und die Teamchefin. Und deren Chef. Budgetplanung? Änni klaubte an einem schönen Frühlingstag ihre Zauberwürfel aus dem Ruckseckli und freute sich über all die schönen Zahlen. (Die Freude war irgendwie nicht ganz übertragbar auf die Geschäftsleitung, aber das nur am Rande). Eine 6.5-stündige Reise mit dem ÖV mit einer Gruppe behinderter Kinder und Jugendlichen? Und, nicht zu vergessen, 6 verwirrten Sozpäds? Mit 6 Mal umsteigen? Innerhalb von jeweils knapp 10 Minuten? „Alles kein Problem!!“, verkündete Änni feierlich beim nächsten Kaffekränzchen bei der nächsten Teamsitzung. „Ich bin schliesslich ÖV-Profi!!“ Das gesamte Team verfiel in erfürchtiges Staunen. (Oder war es Resignation? Nein, niemals!)
Wie die Geschichte ausging? Das, liebe LeserInnen und Aussen, verrate ich euch, wenn ich am Sonntag aus dem Erschöpfungskoma Siegestaumel wieder erwacht bin. Bis dahin vertraue ich auf Ännis ominösen Zauberstab, auf ihre Fähigkeit, sich die Welt schönzudenken und ihre pathologische ungebremste Euphorie.
Tessin, wir kommen!!!

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