Lebenslage

Änni plant ein Lager, Vol. III

… natürlich geht es noch weiter in der Geschicht‘! Und natürlich will ich auch den weiteren Irrsinn mit der Welt teilen…

Tag X, Änni trifft mit ihrer Reisegruppe wie geplant in Zürich ein. Das lief ja alles wie am Schnürchen! Änni suhlt sich in Euphorie. Der Fahrplan ist eng, sie schickt ihre Truppe los zum nächsten Zug. „Vordester Personenwagen!!“ Ihre Mitarbeitenden stuzten, doch Änni verzieht keine Miene. „Ich bin mir sicher! Hundert Prozent, vorderster Personenwagen!! Hopp, hopp!!“

Die Vorhut zieht von dannen. Änni, der Rollstuhl und die junge Frau hangeln sich aus dem Zug und brausen zum nächsten Lift. „Ausser Betrieb!“, in Ännis Gesicht beginnt es zu zucken. „Das ist jetzt nicht euer Ernst, oder?!“ Änni drückt probehalber alle Knöpfe. Nichts tut sich. Erneut ist Änni froh um ihr beachtliches Vokabular an schweinischen Flüchen. „Sone Schissi, das darf jo nid wahr si!!! Wele Tubu…“ Es hilft alles nichts. Änni, der Rollstuhl und die junge Frau brettern zur nächsten Rolltreppe. Änni wird schlecht. Schliesslich nimmt sie sich zusammen und hievt die Frau aus dem Rollstuhl. „Komm, wir fahren Rolltreppe. Wird bestimmt lustig!!“ Der Gesichtsausdruck der Jugendlichen verheisst nichts Gutes. „Schtääge?!“ „Ja, Schtääge. E bewegti Schtääge, sogar!“ Die Jugendliche grinst, Änni geht mit ihr zur Rolltreppe. Zwei Aktenkofferträger kommen ihr entgegen. Änni stellt die beiden Männer kurzerhand an, um den Rollstuhl auf die Rolltreppe zu hieven und herunter zu transportieren. Die beiden lassen sich gutmütig darauf ein, und Änni transportiert schliesslich mit vielen Euphemismen und berndeutschen Kinderliedern die junge Frau die Rolltreppe herunter. Uff!! Alles gut gegangen, Änni atmet auf. Bedankt sich überschwänglich bei den beiden Helfern und braust mit quietschenden Reifen davon.

Nächstes Gleis, nächster Lift. „Ausser Betrieb!“, Änni möchte heulen. Weit und breit ist niemand zu sehen, nicht einmal Aktenkofferträger. Was dann geschah? Das möchte ich hier nicht erörtern. Nur so viel: Sämtliche Schutzengel und Schutzengelinnen JEGLICHER Weltreligionen standen Änni und der jungen Frau an diesem Tag bei, und Änni samt Rollstuhl samt Jugendlicher kamen wohlbehalten im nächsten Zug an.

„Simer itz z Italie?“ Nenei, z Flüele. Flüüüeeeleee!“ Ännis geographische Kenntnisse begeistern mal wieder sämtliche Anwesenden. Auf dem weiten Weg ins Tessin bringt sie ungefragt sämtlichen Mitreisenden die berndeutsche Kultur näher:

„… dert hinger bim Loueneseeee!!!!“ … „… u maaale se Scharlachrot aah…!!“ … „… Auperose!! Chöme mir i Sinn, däärääräätäääräää, däärääräätäääräää, Auperose!!! Si das gsi denn, däärääräätäääräää!! Däärääräätäääräää!!“

Schliesslich und endlich landet die Truppe im anvisierten Kanton: Ticino!! In der Stunde, in der es auf das nächste Postauto zu warten gilt, besucht Änni den SBB-Schalter. Nein, nicht, um sich zu beschweren, für einmal: „Buongiorno! Ich möchte eine Reservation ändern!“ Ännis fleissige Mitarbeitenden hatten nämlich eine schnellere Verbindung für die Rückreise entdeckt. Dummerweise hat Änni in ihrem Eifer bereits für die langsamere Verbindung reserviert. Kein Problem, denkt sich Änni, so eine Reservation ist ja nicht in Stein gemeisselt. Öhm ja. „Unmöglich. UNMÖGLICH!! Das ist viel zu kurzfristig!!“ „Aber das ist doch erst in drei Tagen. Nicht für heute, für Samstag!“ „Meine Güte, nein, unmöglich. UNMÖGLICH!!“ Änni lässt sich nicht einfach so abspeisen. hakt nach, insistiert, stürmt, appelliert in der Verzweiflung an den guten Willen: „Wir haben Gehbehinderte Leute dabei. Bitte, wir möchten nicht durch drei Waggons stolpern, um dann trotzdem nicht beisammen sitzen zu können!“ (einer gewissen Ironie ist sich Änni durchaus bewusst, aber das muss der SBB-Apparatschick ja nicht wissen!)

„Unmöglich. Ich habe jetzt auch gar keine Zeit mehr für Sie. Sehen Sie nicht, wie alnge die Schlange hinter Ihnen ist?!“ Änni macht sich nicht die Mühe, sich umzusehen. „Das muss doch möglich sein! Sie können es doch zumindest versuchen!“ Der SBB-Verschnitt schüttelt ein weiteres Mal sein gegeltes Haupt. „Nein! Und Sie müssen nicht wegen jedem Scheiss an einen SBB-Schalter. Machen Sie sowas gefälligst selber! Rufen Sie diese Hotline an und erzählen Sie denen Ihre rührselige Geschichte!! Und jetzt gehen Sie gefälligst, es hat noch echte Kunden hier!!“ Selbst Änni ist kurz sprachlos. Die angepriesene Hotline kostet fast 2 CHF in der Minute. Und die Hotline-Beamten stehen im Verdacht, viele, viele Minuten zu beanspruchen, um dann zu verkünden, das von ihnen Verlangte sein unmöglich. Mit säuslender Stimme fragt Änni den gegelten Fuzzi, ob sie denn nun nicht wie geplant für über 200 CHF Billette kaufen kann. Der Gesichtsausdruck des Idioten verändert sich in Sekundenbruchteilen von angewidert in schleimig-freundlich, und in seinen Augen blinken Dollar-Zeichen auf: „Aber natürlich, Signorina…“ Kaum hat Änni dem Schleimer die Nötlis ausgehändigt, mutiert er wieder retour. Änni lässt sich ausgiebig Zeit, bis sie ihre sieben Sachen auf den Rücken, die Jugendliche zurück in den Rollstuhl und das Ganze vom Schalter wegtransportiert.

(Leider eine wahre Geschichte.)

Endlich sind alle im gewünschten Postauto. Der Chauffeur runzelt die Stirn: „Können Sie den Rollstuhl zusammenklappen? Das nächste Postauto, in das Sie umsteigen müssen, ist nur sehr klein!“ Änni gibt sich souverän: „Kein Problem, wir haben alles im Griff! Möchten Sie unsere Tickets sehen? Ich habe alles parat!“ Der Chauffeur winkt lachend ab: „Glauben Sie mir: Wer da hin will, der hat auch Tickets dafür!“ Änni lässt sich nicht irritieren. Viele, viele Kilometer auf schwindelerregenden Serpentinenstrassen später ist das Umsteige-Dorf erreicht. Änni und alle Mitpassagiere erfahren nun, was „nur sehr kleines Postauto“ wirklich heisst: Ein Minibus mit 9 Plätzen. Der Rollstuhl wird zum Sandwich umfunktioniert und Ännis Truppe quetscht sich in das Minibussli. Sämtliche Plätze sind belegt. Der italienisch sprechende Chauffeur erkundigt sich nach dem Namen des Lagerhauses. Wenige Kilometer später hält er mit quietschenden Bremsen milimetergenau vor der gewünschten Haustüre. Die Haltestelle? Wäre im Prinzip einige hundert Meter weiter. Doch der hilfsbereite Chauffeur hilft beim Aussteigen, wünscht einen schönen Abend und braust mit dem Minibus wieder davon.

LIEBE SBB. GEHT DOCH.

(Verschnaufpause.)

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