Lebenslage

Änni plant ein Lager Vol. II

Natürlich will ich euch den Erlebnisbericht des akribisch geplanten Ferienlagers nicht schuldig bleiben. Wohlan, denn:
Tag X, Änni packt ihre beiden Rucksecklis und reist nach Hinteroberpfupfigen im schönen Aargau. Bereits im Zügli gärt es in ihrem Hinterkopf: Wie genau transportiert man eigentlich zwei Rucksecklis auf einem grellgelben Mountain-Bike ohne Gepäckträger oder Körbli? (An dieser Stelle ein beschwingtes Winken Richtung Wallis an die grossmütige Sponsorin!)
Änni legt sich schon mal abenteuerliche Knüpftechniken parat. Eins am Rücken, eins auf dem Kopf? So quasi anstelle eines Velohelms? Doch Rettung naht auf grossem Fuss: Nicht umsonst hat Änni mit einer athletischen Logopädin angebändelt. Diese verlädt Ännis Sperrgepäck behende auf ihrem Turbo-Allzweck-Velo und chauffiert es in die anvisierte Institution. Änni keucht vergebens hinterher: Nach knapp 100m hängt die radelnde Logopädin Änni definitiv ab. Nachsichtig lächelnd wartet sie jedoch geduldig, bis Änni keuchend eintrifft.
Vor Ort herrscht hektisches Treiben: Kinder, Jugendliche, Angehörige und verwirrte Sozis jeglicher Couleur wuseln zwischen Gepäckstücken, Rollstühlen und Zmorgetischen umher. Änni bewahrt mal wieder als einzige Ruhe und gönnt sich erstmal einen Kaffee. Wozu auch der Stress! (Dass Änni wenige Minuten später quer durchs Areal joggt und allerlei vergessene Utensilien wie Windeln und Sauerstoffflaschen umherschleppt, ist ein Gerücht. Basta.)
(Die Legende besagt weiter, dass Änni die letzte ist, die in den fahrenden Bus hüpft und ihr knallgelbes Velo für Tage illegalerweise auf dem Parkplatz des Direktors parkiert bleibt, doch das nur am Rande.)
Mit den Shuttlebus durchgeshuttlet erreicht die muntere Reisetruppe den nächsten Bahnhof. Es nieselt und Änni ist wahrhaftig schweissgebadet. Nichtsdestotrotz erklimmt die Truppe den geplanten Zug und holpert Richtung Zivilisation. Dort angekommen spurtet Änni samt Rollstuhlfahrerin durch die Unterführung und erreicht Zunge bei Fuss den vordersten Personenwagen. „Alle rein hier, aber sofort!“, befiehlt sie der Crew, „ich habe reserviert! Vordester Personenwagen, hat die SBB mir versichert!!“ Ännis Mitarbeitende versuchen zaghaft, zu widersprechen: „Aber dort ist ja alles 1. Klasse?!“ Änni würgt die Zweifler wie gewohnt kurzerhand ab: „Vordester Personenwagen!! Punkt!! IHR STEIGT DA JETZT EIN!!!
Als die ganze Truppe endlich drin ist im Zug und auch der Rollstuhl irgendwo zwischen Klo und Notbremse reingequetscht wurde, dämmert es auch Änni langsam, aber sicher: Tatsächlich ist ihre ganze Reisegruppe deplatziert in der 1. Klasse gelandet. Änni flucht unschön vor sich hin. Während sie wettert, zieht die Karawane von Kids und Sozis und dem ungeliebten Rollstuhl durch drei ganze 1. Klasse-Waggons. Die Fäkalausdrücke aus Ännis Mund werden stetig blumiger und lauter. „Diese ver…te SBB!! So ein ver…ter Sauladen!! VORDESTER PERSONENWAGEN, meine Fresse!! Ich werde mich beschweren, und wie ich mich beschweren werde!!! Ich werde diesen Tublen zeigen, wo der Bartli den Most holt!! Mit Gehbehinderten durch drei Wagen gehen müssen, und dann nicht mal reservierte Plätze!! I WIRDE TUE WI NE MORE!!!!
(Tage später und nach einem Gläschen Wein verrieten Ännis Mitsozis, dass sie sich für Ännis Wutausbruch in Grund und Boden geschämt hätten. Ännis Chefin verriet flüsternd (doch Änni hört bekanntlich alles!), dass sie selbst sechs Zugabteile weiter vorne sitzend als Änni jedes Schimpfwort verstanden hätte – zumindest akustisch („ihr wisst schon, dieses Bauerndeutsch!!“))
Schliesslich und endlich nimmt Änni mit der von ihr betreuten jungen Frau in einem Abteil Platz. Änni schimpft wie ein Rohrspatz. „Auf nichts ist mehr Verlass heutzutage! Ich habe eine E-Mail gekriegt, mit dem Hinweis auf den vordersten Personenwagen. Ich habe eine SMS von dieser verfl…ten SBB erhalten: Vordester Personenwagen. Wenn dieser Kondukteur kommt, der kann was erleben!! Ich werde dem das Zythüsli rausputzen, bis der nicht mehr weiss, wo der vorderste Personenwagen ist, jawohl!!“
Als Änni zwischen zwei Tiraden kurz nach Luft schnappt, erklingt eine verschüchterte Stimme nahe ihres rechten Ohres: „Entschuldigung?… Also ich will mich ja wirklich nicht einmischen, aber… sind Sie sicher, dass Sie im richtigen Zug sitzen?“ Änni wirft den Kopf herum und blafft die ältere Dame an: „Natürlich sind wir im richtigen Zug!! UND WIR HABEN RESERVIERT, JAWOHL!! Diese elende SBB….“ Die Dame nimmt allen Mut zusammen und sagt zögerlich: „Ja wissen Sie, da sind auf dem selben Gleis zwei Züge kurz hintereinander, beide fahren nach Zürich…“ Änni will gerade eine gepfefferte Antwort geben, da stockt sie. Moooment. Nein. Nein. Nein. Das ist nicht wahr. Die Dame ist bestimmt ein SBB-Spitzel und will ihr die Schuld für den Fehler unterjubeln. Änni hakt nach: „Also… beide Züge fahren nach Zürich? Auf dem selben Gleis? Ja wann fährt denn der erste?“ Die Dame antwortet verschüchtert: „09.23.“ Änni stockt. Schaut auf die Uhr. 09.27 wäre der geplante Zug gefahren. Jetzt ist es 09.25. Und der Zug fährt bereits seit einigen Minuten. Änni schnappt nach Luft. „Wohin fährt denn dieser Zug?“, fragt sie mit erstickter Stimme. Bitte, sag jetzt nicht Bern. Oder Luzern. Oder Basel. Änni bangt. „Nach Zürich, wie gesagt.“ Änni schöpft neuen Mut. Kurz. „Aber er kommt viel später an, ja?!“ Die Dame schüttelt, mittlerweile wieder mutig, lächelnd den Kopf. „Nein, er ist etwa 2 Minuten früher da.“
(Schampause.)

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