Zwei Jahre ist es her, seit mein Freund und ich zur gleichen Zeit Ferien hatten – solange logischerweise auch unser letzter gemeinsamer Urlaub. Dieses Jahr, gelobte ich daher feierlich, würden wir endlich wieder eine richtige Reise machen, mindestens 3 Wochen lang, gelobte ich weiter, so richtig ausgiebige Ferien sollten es werden, nach Schottland sollte es gehen. Während ich noch so vor mich hin gelobte, boykottierte der werte Ar…beitgeber meines Freundes unsere Reisepläne in meinen Sommerferien mit dem saloppen Satz „nö, im Juli und August kannst du keine Ferien nehmen, da nehme ich selbst 2 Monate Urlaub“. Um ein Haar ist mir bei dieser Offenbarung vor Schreck die Krone vom Schädel gerutscht – und was ich daraufhin alles in Richtung des Ar… gelobte, darf ich aus Gründen des Jugendschutz hier nicht veröffentlichen.
Zu meinem Glück jedoch besitze ich nicht nur ein beachtliches Fluchvokabular, sondern auch einen gewissen Hang zum Pragmatismus. Nach meinen ersten Tiraden besann ich mich also darauf, konstruktiver mit der Situation umzugehen. Ich arbeite in einem Schulbetrieb, meine Urlaubszeiten sind daher vorgegeben. Ausser im Sommer habe ich nie mehr als 2 Wochen am Stück Ferien. Aber: Da gibt es ja noch den zauberhaften Ausdruck „unbezahlter Urlaub“. Ich füllte also flugs ein Antrags-Formular aus, und mein Chef sorgte dafür, dass mir die 2 nötigen Wochen genehmigt wurden.
So, und an dieser Stelle spule ich vor: Letzten Dienstag also bestiegten wir in allerletzter MInuten den Flieger nach Edinburgh. Die Scherzkekse von Easyjet hatten uns Stunden zuvor mehrere Nachrichten mit dem Inhalt geschickt, dass sich unser Flug um gut eine Stunde verspäten werde. Selbstverständlich plante ich diese zusätzliche Stunde mit ein und beschwatzte meinen ungeduldigeren Freund („… meinst du nicht, wir sollten zum Gate?… bist du sicher, dass sich das Borading auch um eine Stunde verschiebt?!“), uns im Flughafen noch mit ausreichend Essen und Getränken zu versorgen – eine meiner tiefsten Urängste ist ja, dass mir auf Reisen plötzlich das Essen ausgehen könnte (ich führe diese wenig rationale Panik übrigens auf die traumatische Zugreise anno 2005 zurück, als ich mit meiner damaligen Mitbewohnerin um 6 Uhr früh ohne Frühstück im Magen und ohne Proviant irgendeinen italienischen Zug bestieg und 6 Stunden später bei Erreichen des Zielbahnhofs gefühlt bereits sämtliche Organe verdaut hatte) – jedenfalls, während ich also seelenruhig mein Müesli mampfte (soweit man seelenruhig ein Müesli mampfen kann, wenn jemand daneben sitzt, mit den Fingern trommelt & alle 10 Sekunden hektisch die Uhrzeit überprüft), hatten die Scherzkekse von Easyjet bereits längst beschlossen, dass das mit dem verspäteten Abflug klassische Fake-News waren. Als wir dann auf Drängen meines werten Freundes hin um 14:20 endlich beim Gate standen, war der Flieger bereits abflugbereit. Hinter uns kam nur noch ein – fast so verwirrt wie wir wirkendes – älteres Ehepaar, das sich, genau wie wir, so gut es ging in den wartenden, komplett überfüllten Flughafenbus quetschte. 14:35 war die urspünglich geplante Abflugzeit, um 14:33 hob der Flieger bereits ab. Tja: Schwein gehabt! (An dieser Stelle folgte ein Satz, der meine Lippen nur höchst selten verlässt und der diesen Moment daher in die Geschichte eingehen lässt: „Ja Schatz, du hattest recht.“)
Aber genug der Vorgeschichte: Auf nach Edinburgh! Die treue Leserschaft wird sich erinnern: Vor ziemlich genau einem Jahr war ich schon einmal da, und wurde, wie man so schön sagt, derbe angefixt von dieser latent morbiden Stadt. Die ganzen Tipps und Tricks von damals muss ich nicht wiederholen, ich ergänze höchstens um 2 Punkte:
- Littering is a thing. War mir letztes Jahr weniger aufgefallen – aber abgesehen von der heraus geputzten Touristenmeile rund um die Royal Mile sind die Strassen ziemlich verdreckt, und dies, obwohl viele öffentliche Abfalleimer rumstehen.
- Es gibt wirklich ausserordentlich nette Busfahrer*innen in Edinburgh. Wie erwähnt, haben die älteren Stadtbusse weder eine optische noch eine akustische Anzeige, die informieren könnte, bei welcher Haltestelle der Bus gerade vorbeidonnert. Was man aber als nicht-Einheimische offensichtlich gut machen kann, ist, die Busfahrerin / den Busfahrer zu bitten, einen zu informieren, wenn die gewünschte Haltestelle erreicht ist. Uns hat die betreffende Dame dann angesichts unserer Riesenrucksäcke sogar noch gefragt, an welche Adresse wir denn gehen wollen – daraufhin erklärte sie uns seelenruhig, wo wir genau durchgehen sollen. Ich muss sagen, das hat mich schwer beeindruckt. Ich bin mir von Grossstädten gewohnt, dass man Busfahrer*innen am besten weder anspricht noch direkt ansieht, sondern besser mit dem ganzen Körper Unterwürfigkeit ausdrückt und sich mit langsamen Bewegungen rückwärts gehend entfernt, um ihr latentes Aggressionspotential nicht herauszufordern.
Nach gut 1.5 Tagen in Edinburgh reisten wir dann mit Sack und Pack mit dem Bus nach Newbridge, einem kleinen Vorort, um dort unser Mietauto abzuholen. Zum Thema Mietauto: Es hat 15 Jahre gedauert, bis ich begriffen hatte, wie ich meinen wenig Reise-affinen Freund dazu bringen kann, sich aktiv in die Reiseplanung des wie auch immer gearteten gemeinsamen Urlaubs einzubringen: Ich lasse ihn ein Mietauto buchen! Mein Freund scheint zwar so gut wie keinen inneren Drang zu verspüren, eine Reise zu planen, dafür aber einen grossen Drang, sich – in welchem Zusammenhang auch immer – mit Autos auseinander zu setzen. Die Auswahl des „richtigen“ Mietwagens nahm über einen Monat in Anspruch – oder auch: Ziemlich genau die Zeit, in der ich das Reiseland (Schottland), die Reiseroute (Edinburgh – Isle of Mull – Isle of Skye – Isle of Lewis / Harris – nördliche Highlands um Inverness – Edinburgh) sowie die ersten 4 Unterkünfte festlegte. Solz präsentierte er mir schliesslich das Ergebnis seiner ganzen Recherchen und Auswahlverfahren: Ein Mini Cooper sollte es sein, natürlich nicht irgend ein, sondern ein ganz bestimmtes Modell, mit ordentlich PS und einer Ausstattung, die den ehrenwerten Captain Picard vor Neid erblassen lassen würde.
Auf jeden Fall überquerten wir am Donnerstag schliesslich schwer beladen mit unseren Rucksäcken einen enormen zweispurigen Kreisel (mein Freund „wehe, ich muss den mit dem Mietauto überqueren“ – der Linksverkehr plus ein komplett seitenverkehrtes britisches Mietauto schien sogar einem routinierten Fahrer wie ihm einen gewissen Respekt einzuflössen), um dann ein noch viel enormeres, totschickes Glasgebäude zu betreten. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie einen Fuss in ein Luxus-Autohaus wie dieses gesetzt – ok, um ehrlich zu sein, ich habe in meinem Leben generell wirklich wenige Autohäuser je betreten – jedenfalls, wir gingen da an unfassbar teuer aussehenden Autos diverser unfassbar teurer Automarken vorbei, Sportwagen, SUVs, Cabrios („Wahaha, wie viele Schotten kaufen sich wohl ein Cabrio, um dann zweimal im Jahr eine Runde um den Block zu drehen, wenn es gerade nicht Binnfäden regnet?!“), und, was dem ganzen die Krone aufsetzte, mit unseren Trekkingrucksäcken, den staubigen Trekkingschuhen und unserer eher gammligen Kleidung schienen wir hier wie Wesen von einem anderen Stern. „Ich vermute stark, wir tragen die einzigen Rucksäcke, die dieses Gebäude je gesehen hat“, selbst mein Freund konnte nicht ganz ernst bleiben.
Dem nicht minder bonzig daher kommenden Personal gegenüber jedoch zählte letzlich nur, dass unsere Kreditkarte aufgeregt quietschte, als wir dem jungen Verkäufer vis-à-vis („… am Wochenende hab ich mit Freunden mit einem [krasse Karre, deren Modell ich mir nicht merken konnte] eine Tour gemacht, wir sind 24h lang durchgefahren und haben über 2000 Meilen zurückgelegt, haha, das war witzig“) ein mittleres Vermögen überwiesen, um dann endlich vor dem Objekt der Träume meines Freundes zu stehen: Ein silbriger Mini Cooper, ein unwahrscheinlich praktisches Auto mit wahnsinnig niederem Boden, irgendwelchen schweineteuren Felgen, dafür ohne Kofferraum (man kann aber immerhin die hinteren Sitze runterklappen). Brandneu. Knapp 80 Meilen auf dem Tacho. „Haha, die Felgen, das ist so eine Sache, viele verkratzen die, naja, wird dann teuer, haha, also passt gut auf, ja?“, der Verkäufer schien bester Laune und händigte meinem Freund die Schlüssel aus.
Ich war sehr, sehr dankbar an dieser Stelle, dass mein Freund das Fahren vorerst übernehmen würde. Er kurvte nicht nur relativ souverän auf der gefühlt falschen Seite durch den ominösen Kreisel (natürlich mussten wir den überqueren), sondern chauffierte uns auch sicher durch Land Richtung Westen, bis nach Oban, dem angepeilten Fährhafen. Dort angekommen manövrierten wir uns pflichtbewusst bis zum Schalter und hielten dem älteren, ruppigen Schotten mit Vollbart auf seine komplett unverständlichen Fragen hin unsere Tickets unter die Nase, woraufhin er seine Stirn, je länger er die Tickets untersuchte, in immer tieferen Falten drapierte. Ungläubig schaute er uns schliesslich an: „Die sind für die Fähre um 4!!“ Ja, wir waren gut 2.5 Stunden zu früh. „Können wir hier parken?“, fragte ich vorsichtig. „Ha!“, er schnaubte, „no parking!“ „Ok…“ Seine darauffolgenden, kurz angebundenen Äusserungen erfolgten wieder in unverständlichem Akzent. Irgendwas von „Stand-by“ grunzte er. „So darlin‘, darlin‘, stand by me, oh stand by me…“, in meinem Kopf dudelte ein Ohrwurm los, während der mürrische Fährenmitarbeiter anhand unserer leeren Blicken irgendwann zu verstehen schien, dass wir keine Ahnung hatten, wovon er sprach, worauf er unwillig etwas ausführlicher, langsamer und deutlicher fortfuhr. „Maybe…. earlier ferry… lane 3… 13:30“, irgendwann erschloss sich uns, dass er uns anbot, eine frühere Fähre zu nehmen, vorausgesetzt, es habe genug Platz. „Yes, please“, sagte mein Freund, und dem wenig gesprächigen Schotten stand die Erleichterung, dass wir nun endlich verstanden hatten, was er uns sagen wollte, und er somit nicht länger mit uns diskutieren musste, überdeutlich ins Gesicht geschrieben.
Die Überfahrt nach Mull dauerte nur etwa 50 Minuten. Ich nutzte die Gelegenheit, um mich im Fährkiosk mit einer grossen Tafel Notfallschokolade (man erinnere sich an meine Urangst) sowie einem geradezu überfälligen Kaffee einzudecken und genoss dann die Überfahrt auf dem windigen Deck. Es ist schwer zu sagen, woher meine Vorliebe für Schiffe und Meer kommt, aber die Vermutung liegt nah, dass sich unter meinen Ahninnen mindestens eine wilde Piratenbraut tummelt – oder so.
Aber nun: Genug der Worte, lasset Bilder sprechen.
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