Unser Erstkontakt mit San José verlief irgendwie harzig. Ein Grund dafür könnte der Umstand sein, dass wir seit fast 20 Stunden wach waren, als wir endlich in Costa Ricas Hauptstadt landeten. Der in meinen Augen viel gravierende Grund dafür jedoch war allerdings ein anderer: Die Meute der Taxifahrer, zwielichtiger Touristenführer und Hotel-Agenten, die sich ohne Scheiss wie ein Schwarm Piranias auf uns stürzten, sobald wir durch die Sicherheitskontrolle in den öffentlichen Teil des Flughafens wechselten. All unsere Abwimmelungs-Versuche wurden hartnäckig ignoriert, und mehrere dieser aufdringlichen Typen verfolgten uns penetrant, obwohl wir fast aus dem Flughafen rausrannten. Es war ein kleineres Wunder, dass mein Freund nicht bis ins Klo verfolgt wurde, ich dagegen, vor der Klotüre wartend, wurde immer und immer wieder angequatscht. Warum wir denn kein Taxi wollten, wo wir denn hin wollten, wo wir denn übernachten wollten, warum wir denn kein Taxi wollten, woher wir kämen, ob wir gut gereist wären, und warum wir denn kein Taxi wollten. Das klingt recht harmlos, aber wir waren wie erwähnt seit fast 20 Stunden wach, ich war hundemüde und hatte absolut keinen Bock auf Smalltalk, schon gar nicht mit irgendwelchen Typen, die sich einfach nicht abwimmeln liessen. Zu der Frage „warum wir denn kein Taxi wollten“: Hätten wir ein Taxi gewollt, hätten wir das von unserem Hotel in San José aus organisiert. Ein Taxi vom recht abgelegenen Flughafen in die Innenstadt kostet um die 30 USD, und wir wollten dieses Geld gerne sparen, indem wir den öffentlichen Bus benutzen wollten. Als mein Freund dann irgendwann wieder aus dem Klo rauskam, suchten wir, immer noch belagert von immer neuen aufdringlichen Taxifahrern und dadurch zunehmend genervt, den Busbahnhof. Schliesslich fanden wir ihn, etwas weiter weg vom Flughafen, und schliesslich trat ein, was uns mit dieser Stadt wieder versöhnen sollte: An der Bushaltestelle befand sich kein einziges Exemplar dieser mühsamen Gattung. Nur ganz normale Ticos, junge, alte, Frauen, Männer, Kinder, die wie wir auf den Bus warteten. Niemand beachtete uns, und das war wirklich herrlich. Der Bus kam, wir stiegen ein und bezahlten pro Nase etwa 90 Rappen, für eine Fahrt, die fast eine Stunde dauerte. Es dunkelte ein, ungewöhnlich früh, und es war Nacht, als wir an der Endhaltestelle am Rande des Stadtzentrums ausstiegen.
Ab da, wussten wir, war es knapp 2km bis zu unserer Unterkunft. Eigentlich hatte ich gedacht, dass wir ab da ein Taxi nehmen würden, aber ey, die Taxifahrer und Konsorten am Flughafen hatten uns echt abgeschreckt. Also, beschlossen wir, während wir auf diesem schmutzigen, schmalen Trottoir standen, würden wir den Rest der Strecke zu Fuss zurücklegen. Habe ich schon erwähnt, dass wir mittlerweile definitiv seit 20 Stunden auf den Beinen waren?! Entsprechend meine Stimmung. Ich war einfach nur erschöpft. Als eine jüngere Frau auf uns zukam, wie wir dort standen und uns berieten, und auf englisch fragte, ob wir Hilfe bräuchten, wollte ich sie daher einfach nur kurz und knapp abwimmeln. Mein Freund jedoch antwortete – wie immer in solchen Situationen – deutlich freundlicher als ich es getan hätte, und erklärte der Frau, dass wir versuchten, uns anhand eines groben Stadtplanes in unserem Reiseführers zu orientieren. „Oh, wir sind da, gleich bei diesem Park“, meinte die Frau, und tatsächlich, wir realisierten, wo wir uns befanden. „Muchos Gracias“, wir bedankten uns, ich ein wenig beschämt. Dann ging es los. Durch eine enorm laute, enorm chaotische Stadt mit lateinamerikanischem Flair. Überall Menschen, Autos, Busse, Taxis, überall Strassenverkäufer mit betäubendem Geschrei, laute Musik, Hupen, und alles bei Nacht, eine Million blinkender Lichter, die Strassen vollgestopft, die Gehsteige in einem, sagen wir mal, abenteuerlichem Zustand, nirgends Fussgängerampeln, und so ging es nicht lange, bis wir uns im Getümmel verloren. „Das fängt ja gut an“, dachte ich, als ich, mit schmerzendem Rücken (ja, das ganze Gepäck für 2 Wochen am Rücken), völlig übermüdet und überreizt, an eine Hausmauer lehnte und darauf hoffte, dass sich der gutaussehende blonde Mann mit dem Mammut-Rucksack irgendwann wieder hier blicken liess. Es dauerte etwa 5 Minuten, und mein Freund kreuzte tatsächlich wieder auf. Wir waren sogar zu müde, um uns gegenseitig Vorwürfe zu machen, und taumelten einfach weiter durchs Chaos.
Als wir gegen 18:30 Ortszeit (2:30 in der Schweiz) unser Hotel fanden, waren wir uns beide einig, dass sich ein Taxi nun doch gelohnt hätte. Aber jetzt waren wir da, in einem etwas verrückten, schrill gestrichenen und nach Räucherstäbchen duftenden Etablissement, aber es war ruhig, der Mann hinter dem Tresen freundlich, und wir konnten endlich, endlich duschen und schlafen. Ich glaube, ich fiel gegen 19:30 komatös ins Bett.
Der nächste Morgen begann für mich um 03:30 Ortszeit – ja, der Jetlag. Weil weder mein Freund noch sonst irgendwer mitmachte bei der Tagwacht, legte ich mich dann irgendwann einfach wieder ins Bett und blieb dort liegen bis 06:30. Um 7 Uhr erschienen wir dann – wie so Rentner – beim Frühstücksbüffet. Ein herrliches Buffet! „Habla español?“, fragte eine strahlende junge Frau. „No“, entgegneten wir wahrheitsgemäss – was wir uns allerdings auch hätten sparen können, da die Frau ganz offensichtlich kein Wort englisch sprach. Ich nutzte die Gelegenheit und bluffte vor meinem Freund mit meinem Duolingo-Halbwissen, und die Frau strahlte noch mehr. So gelang es uns, mit wenigen Brocken Spanisch herrliche Omeletten, gebratene Kochbananen, jede Menge aussergewöhnlich schmackhafter frischer Früchte (die Mangos!) sowie Toasts und literweise Kaffee zu ordern. „Dieses Costa Rica gefällt mir“, erklärte ich mit vollem Mund, und der Schock der Flughafen-Meute verblasste allmählich.
Leider hatte uns der Reiseführer belogen, und unser Adapter für die Steckdosen passte kein bisschen. Der Mann hinter der Reception zeigte uns, wo wir ein Elektro-Geschäft finden konnten. Dorthin führte uns unser erster Ausflug an diesem Tag. Und, nachdem wir dort einen anderen Adapter gekauft hatten, dieser sich jedoch im Hotel als ebenso unfähig erwies, auch unser zweiter Ausflug. Dieses Mal erstanden wir zwei Kabel, mit denen wir dann tatsächlich zumindest ein Handy aufladen konnten. Den Mehrfachstecker aus der Schweiz hätten wir echt zu Hause lassen können, ebenso wie diverse Kabel fürs iPhone etc., da diese allesamt nicht funktionierten. Aber Hauptsache, wir konnten ein Gerät nach dem anderen aufladen.
Gegen Mittag stürzten wir uns dann ins Getümmel, sprich, „San José Downtown“. Bei Tag wirkte irgendwie alles harmloser. Was man aber definitiv über San José sagen kann: Als Fussgänger muss man den Nervenkitzel lieben und über ausgezeichnete Reflexe verfügen, sonst kommt man über keine einzige Strasse (man könnte auch sagen, man spielt permanent russisches Roulette). Ausserdem ist ein Fussmarsch in San José kein Fussmarsch im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr ein unvorhersehbarer Hürdenlauf. Wie die einheimischen Señoritas das in ihren Flipflops oder Sandaletten schaffen, ist mir nach wie vor ein Rätsel. Klar, unser Tempo passte irgendwie nicht nach Costa Rica, wo die Menschen „schlendern“, während wir offenbar „rennen“, aber trotzdem, ohne meine wirklich guten Trekking-Sandalen mit entsprechendem Profil hätte ich es wohl kaum quer durch die Innenstadt geschafft. Ausserdem bemerkenswert: Die einheimischen Ladies tragen offenbar keine Caps oder Hüte als Schutz gegen die sengende Sonne – sondern Regenschirme. Die werden dann bei Niederschlag gleich ungenutzt.
Nach einem Imbiss suchten wir ein Café mit Wifi, um unsere nächste Unterkunft zu buchen. Und nun geschah das Unglaubliche: Ich schaffte es wirklich, zum ersten Mal in meinem 33jährigen Leben nicht, ein Stück Torte fertig zu essen. Ich schwöre, da war eine Menge an Kalorien drin, die den Energiebedarf eines durchschnittlichen Erwachsenen für eine ganze Woche decken würde. Unglaublich, aber mir war das wirklich too much. Das hat es echt noch nie gegeben!!
Es nieselte, als wir schliesslich noch quer durch die Stadt unsere Bustickets für den nächsten Tag geholt hatten. Sobald wir die zentrale Innenstadt hinter uns gelassen hatten, sahen wir deutlich ärmere Gegenden und so einige Obdachlose. Wir wurden jedoch, und das, obwohl wir schon alleine durch unsere Hautfarbe und Haarfarbe klar als Touristen identifizierbar sind, kein einziges Mal angebettelt, und auch nie dumm angemacht. Da könnten sich so einige Schweizer Städte eine Scheibe abschreiben.
San José, du bist ein lärmender, blinkender, stinkender Moloch. Wir haben dich trotzdem ins Herz geschlossen.
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