„Können wir nicht einfach hier bleiben? Es ist gerade so gemütlich“, grummelte mein Freund. „Vergiss es!“, ich hatte nicht vor, mir meinen Ausflug streitig machen zu lassen. Fairerweise muss man sagen, es regnete wieder einmal Bindfäden, und der Nebel hing so tief, dass man den Fjord vor unserem Fenster kaum erkennen konnte. Aber bisher hatten wir noch nicht viel von der Region gesehen, und ich wollte das ändern. Wir fuhren also Richtung Westen los, dem Fjord entlang, und bogen dann Richtung Stokkvågen ab. Stokkvågen besteht eigentlich nur aus einem Hafen und einem Parkplatz, wo wir den Toyota stehen liessen. Die Parkplatzgebühr legt man hier in Cash in ein Couvert, auf das man das Nummernschild schreibt – dann schmeisst man das Ganze in einen Briefkasten. Innovativ!
Auf dem Pier dann begegneten wir einem Hafenarbeiter und etwa 8 verschiedenen, völlig unübersichtlichen Fahrplänen. Laut Internet sollte unser Schiff um 11:34 ablegen – diese Verbindung war auf keinem der Fahrpläne ersichtlich. Heilige Scheisse!! Wieder einmal schien uns der Gott der Schifffahrt zu verhöhnen, ernsthafte Vindstad-Vibes kamen auf. Ich begann, mit teuren Roaming-Megabytes ein Alternativprogramm zu finden, als uns der Hafenarbeiter, der vorher bekundet hatte, keine Ahnung von den Fahrplänen zu haben, zurief: „Hey! There is a ship coming!“ Und tatsächlich, da kam ein schneller Katamaran auf uns zu. Ein reines Passagierschiff, und es steuerte tatsächlich die Insel Onøy an. Das Ticket konnten wir an Bord kaufen, wir setzten uns einfach hin und irgendwann kam ein älterer Herr mit einem Kartelesegerät und verkaufte uns zwei Tickets. Das Schiff kurvte durch die unzähligen Inselchen und Schären, der Regen hörte auf – und meine Stimmung hob sich wieder beträchtlich.
Auf Onøy, eine der zahllosen Inseln hier, war mein Plan, dass wir zu Fuss in den Weiler Hagen laufen, der sich auf Lurøy, der mit einer kleinen Brücke verbundenen Schwesterinsel, befindet. In Hagen gibt es ein Restaurant mit einer hübschen Aussicht auf die Helgeland Küste. Leider sind auch hier keine Wege für Fussgänger vorgesehen, so dass wir der Hauptstrasse entlang gehen mussten. Der „Verkehr“ hier ist echt zahm, gefährlich ist es also nicht, aber es gibt schönere Wege. Kurz bevor wir den Weiler erreicht hatten, entschied ich spontan, unsere Pläne zu ändern. Bereits beim Betreten der Insel war mir der markante Berg aufgefallen, der hoch über der Insel thront. Auch er schien merkwürdig glatt, rund, „abgeschliffen“, und dadurch zugänglich. „Es muss doch möglich sein, da rauf zu kommen!“ „Spinnst du?“, mein Freund schien wenig diplomatisch heute. „Naja, also, vielleicht nicht ganz hoch, aber so ein bisschen?“ Die linke Augenbraue meines Freundes hob sich sanft, aber wie meistens beliess er es dabei. Wir bogen von der Hauptstrasse ab und standen dann tatsächlich vor einem Schild, das einen Wanderweg auf den Lurøyfjellet, so der Name des Berges, ankündigte.
Die Wanderung klang absolut machbar, es gibt ab einer gewissen Höhe zwei Varianten, insgesamt sollte die Wanderung etwa 8.5km lang sein. Wir wanderten also mutig drauf los. Im Vergleich zu Schottland war der Weg absolut gut markiert, jedoch schon nach kurzer Zeit sehr matschig. Der grosse Moment für meine superkrassen hohen Wanderschuhe! Nachdem ich jetzt eine Woche lang mit diesem Schuhwerk stets völlig unpassend gekleidet war, war mein Freund in seinen schicken, modischen Trekkingschuhen jetzt das erste Mal so richtig neidisch auf mich. Zwar versank ich ebenso wenig anmutig wie er im Schlamm, aber MEINE Schuhe sind sowas von wasserdicht, kein Moor dieser Welt kann ihnen etwas anhaben!
Bis zur Mitte war der Weg nicht wirklich steil, aber dann zieht es doch ziemlich an. Ich keuchte wie ein Dampfschiff, während wir Höhenmeter um Höhenmeter erklommen. Dass wir bis zum Gipfel hochgehen, war schon lange keine Frage mehr – wenn schon, denn schon! Nachdem wir bereits etwa eine Stunde unterwegs waren, trafen wir eine Frau, die vom Gipfel her runterkam. „Ist es noch weit?“ „Ihr seid in der Mitte“, grinste sie. Erst in der Mitte?? Phu. Es war dann aber nicht mehr ganz so weit. Belohnt wurden wir mit unglaublicher Aussicht (die Fotos geben nicht wirklich wieder, wie spektakulär die Aussicht wirklich ist):
Unten wieder angekommen, marschierten wir dann weiter Richtung Hagen. Im kleinen Weiler plünderten wir das einzige Geschäft auf der ganzen Insel. Die junge Frau an der Kasse schien sich ziemlich zu amüsieren, als wir sie fragten, wo denn die Bushaltestelle sei (es gibt laut Google einen Bus, der vom Hafen Onøy nach Hagen und wieder retour fährt). „Der Bus hält gleich hier“, meinte sie. „Oh“, antwortete ich erstaunt, „wir haben kein Schild gesehen.“ „Es gibt hier keine Schilder“, grinste die junge Frau. „Der Bus hält einfach an, wenn Leute mitfahren wollen. Es braucht kein Schild, hier ist alles so klein.“
Also setzten wir uns vor den Laden, mit Sicht auf den Strand, und warteten. Mein Freund hegte wilde Vermutungen, dass um diese Zeit gar kein Bus mehr fährt und wir zu Fuss zurück nach Onøy gehen müssen, wodurch wir dann sicher das letzte Schiff verpassen würden, aber irgendwann hielt dann tatsächlich ein Minibus an und ein junger Mann mit Vollbart und Hipsterdutt chauffierte uns zurück zum Hafen. Dort begann dann wieder der Spass mit den Schifffahrplänen. Laut Internet sollte uns um 19 Uhr ein Schiff zurück nach Stokkvågen bringen. Es hielten dann zwei verschiedene Schiffe, von denen aber keins nach Stokkvågen fuhr, bis dann irgendwann eine riesige Fähre anhielt. „Stokkvågen??“ „Stokkvågen!“, antwortete einer der Matrosen grinsend. Wir gingen also an Bord und vertrauten darauf, dass uns wieder irgendwann jemand mit einem Kartelesegerät ausfindig machen würde und uns zwei Billette verkauft. Wie soll ich sagen. Das passierte dann einfach nicht. Alles auf dem Schiff war nur norwegisch angeschrieben, wie schon bei der Hinfahrt, wir hatten daher keine Ahnung, wo man hier ein Ticket löst. Und so kam es, dass wir den Gott der Schifffahrt ein weiteres Mal herausforderten – wir fuhren tatsächlich schwarz. Wie wir dafür wohl irgendwann büssen werden?? Man darf es sich nicht ausmalen…
Abschliessend kann man sagen: Ein toller Ausflug. Das Wetter war auf den Inseln viel besser als auf dem Festland, und wir konnten eine wunderschöne Region entdecken, in der wir als Nicht-Norweger auffielen. Onøy/Lurøy scheint wenig touristisch und wenn schon, dann sind es wohl inländische Touris, die hier ein Ferienhaus mieten. Die Wanderung war, so spontan sie auch ausgefallen ist, absolut lohnenswert. Nach der Zeit auf den Lofoten war es wohltuend, so wenige Leute zu treffen. Auf dem Lurøyfjellet haben wir eine Handvoll Schafe, verhältnismässig dazu enorme Mengen von Schafsexkrementen (mein Freund: „Was ist mit diesen Schafen bloss los? Machen die einfach nichts anderes, als den ganzen Tag lang zu scheissen??“) sowie exakt 6 Personen getroffen. Alle davon quatschten uns auf norwegisch an, was uns ehrlicherweise schon ein bisschen schmeichelte. Falls ihr also je in dieser Region seid, wandert auf den Lurøyfjellet, es lohnt sich bereits bei bewölktem Himmel, wenn das Wetter klarer ist, muss es unfassbar schön sein dort oben.
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