Entwarnung: Wir sind nicht etwa in Tromsø stecken geblieben – aber Internet ist dieser Tage rar. Beim Buchen unserer Unterkunft auf den Lofoten hatte ich zwar gesehen, dass es da kein WiFi gibt, hab mir dabei aber irgendwas wie «So romantisch! So nostalgisch!» gedacht und es danach auf der Stelle wieder vergessen. Wie dem auch sei, hier sind wir also, in Reine, Lofoten, zusammen mit sehr vielen anderen Touristen. An unserem dritten Tag in Tromsø sind wir – wieder einmal – in aller Herrgottsfrühe aufgestanden und haben uns mitsamt Gepäck mit dem Stadtbus ins Stadtzentrum begeben – die Preise fürs Busfahren jagen hier übrigens sogar Schweizer*innen einen kalten Schauer den Rücken runter (6 CHF für eine Person, für eine Strecke, die ohne Gepäck in etwa 20min zu Fuss machbar ist). Ich hatte in der Nacht kaum geschlafen (Mitternachtssonne my ass) und nach der wirklich kurzen Strecke von der Bushaltestelle bis zum Autoverleih mit meinem Riesenrucksack am Rücken sackte ich vor dem Gebäude wortwörtlich zusammen & tat meinem geschätzten Freund mit letzter Kraft kund, dass ich hier warten würde, bis er nach Erledigung sämtlicher Formalitäten mit dem Autoschlüssel retour kommt. Dann ging ich mit der Anmut eines Kartoffelsacks endgültig zu Boden und lag dort wie ein gefällter Baum, bis mein Freund mich irgendwann schüttelte und wir den silbrigen Toyota irgendwas abholen konnten. Die nächsten Stunden verbrachte ich mehr oder weniger schlafend auf dem Beifahrersitz. Wann immer ich zwischendurch aufschreckte (meistens, weil mein Nacken fies schmerzte), warf mir mein Freund einen mild spottenden Blick zu und fragte, ob jetzt der Zeitpunkt gekommen sei, an dem ich das Fahren übernehme (dummerweise hatte ich mich im Vorfeld von der Reiseeuphorie hinreissen lassen und Sprüche gerissen wie «klar fahre ich auch, kann ja nicht so schwer sein… einfach lieber nicht durch die Stadt, aber danach?? Sicher!»). Nach einer knapp mittelmässigen Pizza am frühen Nachmittag war ich dann zumindest munter genug, um via Handykoppelung im Auto meine Chor-Playlist abzuspielen und meinem Freund den Sporan 2 unseres gesamtes Programms vorzuschmettern: «🎵You’re simply the best!! Better than aaall the rest!! Better than anyone…🎵». (Seinem verzückten Gesichtsausdruck nach zu urteilen hatte er noch nie etwas Betörenderes gehört.)
Zusammenfassend kann man sagen, norwegische Strassen sind in der Regel in sehr guter Verfassung, es hat über Land kaum Verkehr (auf den Lofoten jedoch schon), man kommt jedoch nicht so schnell voran, wie das auf Schweizer Strassen der Fall wäre. Gerade über die Lofoten kann man vielleicht mit durchschnittlich 50km/h fahren, wenn es gut läuft. Mein Freund, der Ehrenmann, hat die ganze Strecke von Tromsø bis nach Reine, fast am südlichsten Zipfel der Lofoten-Inselgruppe gelegen, in etwa 9 Stunden Fahrt bewältigt, mit Pausen (Mittagessen und Lebensmitteleinkauf) waren wir etwa 11 Stunden unterwegs. Das ist an einem Tag machbar, wirklich spassig ist es nicht. Allerdings hat es auch wirklich den ganzen Tag lang geregnet, viel verpasst haben wir somit nicht.
Abends dann, als ich den Omelettenteig für den nächsten Morgen vorbereiten wollte, wogte eine Welle der Enttäuschung über mich hinweg: Das «Mehl», das ich gekauft hatte, war gar kein Mehl, obwohl doch «Hellkorn» drauf stand – viel mehr war es irgendwas Richtung Weizenschrot. Und ich wollte doch Omeletten zum Frühstück essen!! Mit ein paar investierten Megabytes Roaming-Daten (hatte ich schon erwähnt, dass wir kein WiFi haben hier??) eruierte ich, dass eine Tankstelle in der Nähe noch knapp 30min lang offen hatte – ich witterte eine letzte kleine Möglichkeit, zu meinen Omeletten zu kommen. «Sind diese Omeletten jetzt wirklich so wichtig?» fragte mein Freund mit dezent erhobener linker Augenbraue, akzeptierte mein «Jawoll!!» jedoch ohne weitere Widerrede – kluger Mann. Und so marschierte ich gegen 22 Uhr durch den mittlerweile horizontalen Regen, konzentrierte mich darauf, nicht von einer Klippe geweht zu werden, bis ich in der Tankstelle einer etwas überrascht wirkenden jungen Frau tropfend ein Kilo Mehl auf den Tresen stellte.
Auch am nächsten Tag zeigte sich das Wetter von seiner norwegischen Seite: Nass, windig, neblig, kalt. Wir verkrochen uns mit unseren Omeletten in unserer behaglichen, nostalgischen Unterkunft ohne Internet und gingen nur raus, um uns irgendwann paar Minuten Internet sowie ein Stück Kuchen und einen Kaffee, der diesen Namen verdient, zu Gemüt zu führen – und um weitere Lebensmittel zu besorgen.
Abends hab ich dann wirklich alles gegeben, um ein richtig leckeres Znacht zuzubereiten. Die Küchenausstattung der Unterkunft ist besser als die in Tromsø, aber weder ein scharfes Messer noch ein Sparschäler waren zu finden. Der Moment war gekommen, an dem ich endlich mit einer theatralischen Geste mein Sackmesser aus dem Rucksack zücken konnte – selten hab ich mich so souverän gefühlt!
Samstag schliesslich zeigte sich der Himmel ab Mittag in sanftem Hellgrau – und es hörte für ein paar Stunden auf, zu regnen. Perfekte Bedingungen also, um die Umgebung zu erkunden. Bereits bei der Anfahrt von Reine war mir die Küste gegen Osten hin aufgefallen, und genau da wollte ich nun hin. Eine absolut lohnende Entscheidung, sollte sich später zeigen. Nicht nur ist die Landschaft wunderschön und bietet endlose (mit gutem Schuhwerk gefahrenfreie) Möglichkeiten, über die Felsen zu klettern, nein, es war auch menschenleer. Erst als wir nach Stunden langsam Richtung Dorf zurückkehrten, begegnete uns eine andere Touristin. Und das will hier, im Herzen der Lofoten, was heissen. Die Dorfstrasse von Reine ist phasenweise komplett verstopft mit Autos, Wohnmobilen und Fussgängern. Viele machen hier Halt, um ein typisches Lofoten-Foto mit Bergen, einem Fjord und paar dunkelroten Holzhäusern zu schiessen. Absolut verständlich, es ist ja auch einfach zauberhaft hier.
Am Sonntag wollten wir dann mit dem Schiff von Reine nach Vindstad fahren. Vindstad ist ein kleiner Weiler an einem anderen Ende des Fjords, und von da kommt man zu Fuss zu einem hübschen Sandstrand (Bunes) auf der Westseite der Insel. Den Schiffsfahrplan hatten wir bereits am Freitag in der Touristeninfo abfotografiert, das Schiff fuhr sonntags um 11 Uhr – was sollte also schon schief gehen können?? Nun ja. Es taten sich dann mehrere Möglichkeiten auf, was an einem solch harmlosen Vorhaben alles daneben gehen kann.
- Der Abfahrtsort: Wo genau das Schiff in Reine abfährt, hatten wir nicht erfragt, Reine ist ein winziges Dorf. Als wir um 10:43 gemütlich durch das Dorf schlenderten, sahen wir ein blaues Schiff, das gerade abfuhr – dachten uns aber nichts weiter dazu. Gegen 10:45 gesellten wir uns frohgemut zu einer Schar anderer Touristen, die an einem Steg warteten. «Sorry, weisst du, wo das Schiff nach Vindstad fährt?», fragte ich vorsichtigerweise noch eine andere Touristin auf englisch. «Ich glaube, hier, wir wollen auch nach Vindstad», antwortete sie, und ich war vorerst beruhigt. Dann wurde es 10:55 und nach wie vor war nirgends ein Schiff zu sehen. Ich marschierte strammen Schrittes Richtung Tankstelle und fragte die junge Frau da, wo denn das Schiff fahre. «Da drüben», sie zeigte auf das andere Ende des Dorfes. «Ok, danke!», ich rannte raus, rief meinem Freund quer über den Platz zu, dass wir in die andere Richtung rennen müssen, er verständigte die Frau, die ich angequatscht hatte, diese verständigte weitere Touristen, und dann rannte nach und nach eine ganze Truppe von Touristen hinter mir her. Einen Moment lang fühlte ich mich bisschen wie Mel Gibson als William Wallace, der Anführer der aufständischen Schotten, an der Spitze eines brüllenden Heeres, das mir in wilder Entschlossenheit bis in den Tod folgen würde – oder so. Ich konnte den Drang, mit komplett entgleisten Gesichtszügen quer durchs Dorf „FREEDOM!!!“ zu brüllen, nur knapp unterdrücken. Als wir gegen 11:03 am anderen Steg ankamen, standen dort gut 30 bis 40 weitere Touristen parat. Phu, das Schiff war offenbar noch nicht abgefahren!
- Die Abfahrtszeit: Es wurde 11:15, 11:20 und nach wie vor war weit und breit kein Schiff zu sehen. Hatten wir es doch verpasst? Aber warum standen denn noch so viele Leute da? Wir sonderten uns von den wartenden Massen etwas ab und standen dann plötzlich neben einem Paar aus Österreich zwei Paaren aus Deutschland (zu ihnen gehörte die Frau, die ich auf englisch angequatscht hatte). Zu acht rätselten wir herum, was gerade passiert war. Die zwei jungen Leute aus Österreich wussten mehr: Auch sie hatten zunächst auf der falschen Seite des Dorfes gewartet, «das stand so da!! Wir haben das extra noch überprüft im Internet!!» – dann hätten sie die Info erhalten, dass das Schiff auf der anderen Seite abfahre, und seien rübergerannt. «Um 10:50 standen wir hier, und da fuhr das Schiff gerade ab. Das kann doch nicht sein! Es steht 11 Uhr auf dem Plan!» Ein öffentliches Verkehrsmittel, das zu früh abfährt?? DAS GEHT DOCH SO NICHT! Wie ich bereits an anderer Stelle erwähnt habe: Die Tatsache, dass das vermaledeite Schiff einfach 15 Minuten zu früh abgefahren war, erschütterte uns in unseren ethischen Grundfesten, und ebendieser Schock führte zu einer Verbundenheit mit den anderen Touris aus dem deutschsprachigen Raum, wie wir sie sonst kaum je erleben.
Gegen 11:35 beschlossen wir dann, uns darein zu schicken, dass unser Tag anders verlaufen würde als geplant und gesellten uns in die nächste Kneipe. Nach wie vor warteten um die 30 Leute am Steg, was uns weiterhin verwirrte. Das nächste Schiff legte laut Plan um 15 Uhr ab – wir assen gemütlich Zmittag und gönnten uns Kaffee und Kuchen und waren dann um 14:30 wieder vor Ort – man lernt ja dazu. Als wir dann pünktlich um 14:55 das Schiff betraten, ging mir auf, dass die Touristenmenge am Steg am Vormittag wohl nur knapp in das kleine Schiff gepasst hätte. Was, wenn der Kapitän einfach losfuhr, als das Schiff voll war, und dann später noch eine zweite Fahrt gemacht hatte?
Es war gegen 15:40, als wir in Vindstad anlegten. Da wir auf keinen Fall das letzte Schiff zurück verpassen wollten (der Ort ist nur per Schiff zu erreichen, es gibt weder eine Unterkunft noch ein Restaurant da), marschierten wir strammen Schrittes den Pass hoch, von wo man dann auf den wunderschönen Sandstrand runtersieht. Unterwegs trafen wir die Österreicher wieder – ich hatte Recht, das Schiff war gegen 12 Uhr ein zweites Mal abgefahren. Die Österreicherin spekulierte, dass der Kapitän auf seiner ersten Tour eine andere Route fuhr – ich bleibe bei der Kleines-Schiff-zu-viele-Touris-These. Das Wetter hatte sich seit Mittag verbessert, es regnete nicht mehr und klarte sogar ein wenig auf. Das Glücksgefühl, als ich schliesslich den Strand erreicht hatte, die klobigen Wanderschuhe sowie die Socken ausgezogen hatte und durch das kalte Wasser der rauschenden Brandung stapfte, lässt sich kaum in Worte fassen.
Paar hundert Meter weiter stürzte sich eine Gruppe junger Männer in den Badehosen kreischend in die eisigen Fluten – sie gehörten zu den Hardcore-Outdoortouris, die es auf den Lofoten zuhauf gibt: Zu Fuss unterwegs, das Zelt und ein Kletterseil am Rücken, durch Regen und Wind über eisige Gipfel – oder so. Auf der Schifffahrt zurück nach Reine hatte das Wetter dann dermassen verbessert, dass sich die ganze Schönheit der Lofoten manifestieren konnte. Die Schifffahrt durch den Fjord, vorbei an winzigen Weilern und majestätischen Gipfeln, werde ich nie wieder vergessen.
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