Lebenslage

Änni an der Viehschau.

Gut ein halbes Jahr ist es her, dass mich mein Brüderchen, Biolandwirt in der voralpinen Hügelzone und stolzer Viehzüchter, vor eine offenbar undiskutable Tatsache stellte: „Wir haben Jubiläumsviehschau, du musst als Helferin mitmachen, kannst aussuchen, als was.“ Zur Auswahl standen ruhmreiche Tätigkeiten wie „Festwirtschaft“, „Kühe waschen“ oder „Parkdienst“. Während ich noch in Betracht zog, als Service-Kraft mein Bestes zu geben, holte mich meine Freundin, die mir anno ’99 meinen ersten und letzten Job im Service (bzw. am Bierhahn) eines Strassenfestes besorgt hatte, unsanft auf den harten Boden der Tatsachen zurück: „Service?! Mein Gott, du weisst doch, dass du das nicht kannst!“

Weil sie – wie immer – leider recht hatte, und weil ich mir den Job als Servierdame im bäuerlichen Umfeld auch recht anstrengend vorstellte, wählte ich schliesslich doch die glamouröseste aller Aufgaben: „Kühe waschen“. Selbstverständlich meldete ich auch gleich meinen Freund mit an, im Bestreben, ihn an meiner Agrar-Herkunft teilhaben zu lassen (natürlich war DAS der Grund, hämische Schadenfreude hatte nichts, aber auch gar nichts damit zu tun!).

Die Monate vergingen, die Viehschau war schon fast vergessen, als plötzlich per Post der Einsatzplan der Helfer zugestellt wurde. Gross war die Freude meines nicht-bäuerlichen Freundes, als er feststellte, dass er offenbar zum „Kühe vorführen“ auserkoren wurde, ein Umstand, den er nach hektischen Telefonaten noch zu „Stammblätter der Kühe verteilen“ abmildern konnte. Sogar ich, trotz hämischer Vorfreude wie immer besorgte und wohlwollende Freundin befand, dass jemand, der im Leben noch nie eine Kuh mit einem Gewicht um 600-700kg von A nach B vehikelt hat, das vielleicht nicht unbedingt an einer Viehschau, umringt von Viehzüchter-lastigem Publikum, zum ersten Mal versuchen sollte. Ich selber hatte es als Helferin in die Unterkategorie „Nummern vergeben“ geschafft, worunter ich mir zwar nichts vorstellen konnte, was meinen Enthusiasmus jedoch kein bisschen schmälerte.

Der selbe Enthusiasmus erlitt dann um 6 Uhr an diesem schicksalsträchtigen Samstag Morgen, als der Wecker klingelte, doch einen ziemlichen Dämpfer, der sich auch bei Abfahrt um 06:30 bis zur Abkunft um 07:30 nicht merklich erholt hatte. Wir fanden den grossen Platz in dem kleinen Dorf auf Anhieb, schon mässig gefüllt mit muhenden und teilweise sichtlich (durchaus auch wörtlich) angepisstem Rindvieh, aber auch geschäftigen und vorfreudigen Landwirten.

„Äh ja, hallo… Ich sollte hier helfen, aber ich habe keine Ahnung, was ich machen muss und wo…“ Die Frau im obligaten Senner-Hemd sah mich erstaunt an: „Was steht denn auf deinem Plan?“ „Äh, keine Ahnung, den habe ich dummerweise nicht dabei…“ Ihre Augen wurden noch grösser. „Wer ist denn dein Chef?“ „Äh, keine Ahnung?…“ Schliesslich fand ich eine Gruppe Landwirte, junge, mittelalte, alte, die offenbar die selbe Aufgabe hatten wie ich. Mir wurden eine Tasche voller Nummern in die Hand gedrückt, die wir zu dritt mit Leim auf die passenden Kuhhintern kleben sollten. Offenbar war ich hier die Quotenfrau, freundlicherweise musste ich den fleissigen Bauern nur die richtige Nummer raussuchen, so dass ich sowohl vom tropfenden Leim wie auch von den je nach Konsistenz strömenden und flockig fallenden Kuhexkrementen weitgehend verschont blieb. Während ich also den beiden Landwirten hinterherstolperte, besann ich mich auf die Strategie meiner Kindheit für solche Anlässe: „Hauptsache nicht im Weg stehen“. Für alles andere war ich zeitlebens immer zu ungeschickt und zu langsam, und ich hatte mit angewöhnt, wenigstens den oft relativ derb ausfallenden Groll der männlichen Agrartätigen nicht dadurch heraufzubeschwören, indem ich unpassenderweise am falschen Ort zur falschen Zeit stand und so das geschäftige Herumvehikeln von Rindviechern, Traktoren und Viehtransportern unnötig aufzuhalten.

Während ich also geflissentlich nicht im Weg stand und in den Nummern für die gut 250 Kühen wühlte, wurde ich von einem der mittelalten bis alten Viehzüchtern mit einem sanft ergrauten Rauschebart überschwänglich begrüsst: „Hoi Änni!“ Er strahlte von einem Bartende zum anderen, und ich versuchte, möglichst gleich euphorisch zurückzugrinsen: „Hoi, äh… hoi!“ „Wuahahaha, du hast keine Ahnung, wer ich bin, wuahahaha…“ „Ja, äh, nein, habe ich nicht.“ Er stellte sich umgehend mit Vor- und Nachname vor, ich schüttelte betont energisch seine dargebotene Pranke, strahlte so gut ich konnte und hatte nach wie vor keine Ahnung, wer er war, geschweige denn, woher ich ihn kennen sollte. Ein Ritual, das sich im Verlaufe des Tages mehrmals wiederholen sollte.

Während ich meine offensichtliche Deplatziertheit in all den strammen jungen Bauern und tüchtigen jungen Frauen in Sennen-Kuttelis, Chüiermutz und Älpler-Blusen mit einer Mischung aus mildem Sarkasmus und vielen Déja-vu’s zur Kenntnis nahm, erklang plötzlich ohrenbetäubender Lärm, und die ersten Kuhherden, die traditionsgemäss zu Fuss, teilweise über 10km weit hergetrieben wurden, erreichten den Platz. Diese vor Stolz schier platzenden Bauern samt Familie, allesamt im Chüiermutz, Sennenchutteli, Tracht etc., mit ihren sorgfältig zurechtgemachten Kühen, die schönsten Glocken und Treicheln umgehängt, teilweise mit Blumen geschmückt, all das liess meinen Sarkasmus in erstaunlichem Ausmass schmelzen. Ich mochte noch so deplatziert sein, aber ich freute mich unweigerlich mit, für die stolzen Landwirte samt Anhang, für die herausgeputzten Kühe, für die zahlreiche Besucher des Festes, für die Organisatoren. Es war und es ist nicht meine Welt, aber auch das ist Kultur, es gehört zu meinen Wurzeln, es verbreitet Freude.

Irgendwann erschallte dann ein Lautsprecher, der verkündete, nun sei Zeit fürs Apero, das allen Viehzüchtern, Helfern und Besuchern gespendet würde. Ich bewaffnete mich flugs mit einem Glas Weisswein und gesellte mich zu meinem Brüderchen, um über Euter und Milchleistungen zu fachsimpeln, als sich eine ebenfalls unbekannte ältere Frau ins Gespräch einmischte. Sie sei neu im Dorf, finde Viehschauen super, das sei noch Heimat, da treffe man noch Schweizer, in Züri dagegen sei das überhaupt nicht mehr so, sie sei nicht rassistisch, aber diese Ausländer, wo das noch hinführe und sowieso.

Ich sah zu, dass ich wegkam und besuchte meinen arg gestressten Freund, der beim Vorführen der wohlfrisierten Rindviecher dem Experten, einem humorlosen Typen im weissen Kittel, das Datenblatt der Kühe aushändigen musste – selbstverständlich musste er in Ausübung dieser wichtigen Funktion ein Sennechutteli tragen, das man ihm grosszügigerweise ausgeliehen hatte. Ich verfiel bei dem Anblick in debiles Kichern, den Versuch, ihn in diesem Aufzug und am besten noch mit einer Milchkuh zu fotografieren, boykottierte er leider nachdrücklich.

Alles in allem schien der Job meines Freundes immer noch besser als der Job meiner Schwestern, die sich tatsächlich bei „Festwirtschaft“ eingetragen hatten, und bei den Unmengen von Gästen an diesem sonnigen Oktobertag von 09:00 bis 16 Uhr mit endlosen Portionen an Bratwürsten, Bier, Steaks und Pommes herumrennen mussten, während mein glorioser Einsatz um 09:00 bereits beendet war. In der Service-Truppe entdeckte ich eine ehemalige Mitschülerin, an die ich mich sogar mit Vornamen erinnerte. Ich sagte hallo und fragte, was sie so mache. „Ich bin nicht verheiratet“, meinte sie ernst. Etwas verdattert meinte ich, nun ja, öhm, ich sei auch nicht verheiratet. Da lachte sie schallend, was das Verdatterungs-Level nicht unbedingt senkte, und erklärte mir schliesslich die Pointe: Offenbar hatten wir damals, in der 4. Klasse, gewettet, wer eher heiraten werde.

Beim viehzüchterischen Höhepunkt, dem Vorführen der best prämierten Milchkühen konnte ich mir einige sarkastische Kommentare zur Vergabe der „Protein-Glocke“ dann doch nicht verkneifen. Aber spätestens als ich dann schliesslich irgendwann mit meiner Mama in den heimischen Hügeln auf der Terasse in der Sonne stand, um die heimkehrenden Kuhherden und zugehörigen Bauernfamilien zu begutachten, allesamt erschöpfter und dreckiger als am Morgen, nichtsdestotrotz immer noch beeindruckend, musste ich mir eingestehen: Ja, er hat Spass gemacht, der Ausflug in diese fremde Welt. Wirklich heimisch fühlen werde ich mich dort trotzdem nie.

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2 Kommentare

  • Antworten
    fraulavendula
    16. Oktober 2014 bei 17:03

    Liebe Änni,

    das hört sich so an, dass ich wünschte, dabei gewesen zu sein.
    Und das, obwohl mir Kühe eine Höllenangst einjagen.

    Liebe Grüße!

    • Antworten
      Änni
      16. Oktober 2014 bei 17:53

      Liebe Frau Lavendula, du hättest dich garantiert auch mit gebührendem Abstand zu den Kuhhintern köstlich amüsiert. Das beste an der ganzen Geschichte trug sich übrigens knapp eine Woche später zu: Mein Brüderchen schickte mir ein Foto von der Titelseite der örtlichen Lokalzeitung. Darauf ein grosses Foto von meinem Freund im Sennenchutteli, im Hintergrund unzählige Rindviecher. Wahre Geschichte!!!

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